Die Dornen der Rose (German Edition)
er jetzt an der frischen Luft. »Sie ist keine Mademoiselle Sowieso.« Er streifte sich das Hemd von den Armen, knüllte es zusammen und warf es zu seinen anderen Sachen auf die Bank.
»Schön. Dann übernehmen Sie doch die Förmlichkeiten. Erwarten Sie nicht von mir, dass ich weiß, wie sie genannt werden muss.« Hawker stapfte an üppig wuchernden Geranien vorbei durch den Hof auf eine Tür in der Ecke zu. »Lassen Sie mich wissen, welchen Namen Sie heute benutzen.«
Die Tür knallte hinter ihm zu, was er zweifellos als sehr befreiend empfand. Im Haus schlief ohnehin keiner mehr.
»Sie sind verheiratet?« Aus Madame Cachards Stimme klang wenig Beifall.
Wenn diese Frau Guillaumes Heirat missbilligte, würde sie es mit seiner Ehefrau zu tun bekommen. »Das sind wir.« Auch ohne ihren Fächer – auch wenn sie damit höchst beredt umgehen konnte – brauchte sie nur drei Worte, um der anderen klarzumachen, dass sie ihre Nase nicht in anderer Leute Angelegenheiten zu stecken hatte.
Madame Cachard zog die Augenbrauen hoch. Guillaume setzte sich hin und zog seine Stiefel aus. »Wir können uns später noch mit meinem Privatleben beschäftigen, Helen. Ich möchte wissen, was in Paris gerade vor sich geht.«
»Das wollen wir alle, nach dieser Granate, die Sie in die französische Innenpolitik geschleudert haben. Was zum Teufel haben Sie sich dabei überhaupt gedacht?« Der Blick der alten Frau ruhte auf Guillaume und dann auf ihr. »Sie werden mir auch erklären müssen, wie Sie überhaupt ins Gefängnis gekommen sind. Waschen Sie sich, ziehen Sie sich an und kommen Sie dann herein.« Und etwas lauter fügte sie hinzu: »Sie werden alle in einer Viertelstunde zu mir in die Küche kommen, wenn es Ihnen nichts ausmacht. Die Welt steuert auf den Abgrund zu, und ich muss alles erfahren. Im Bett werden Sie nichts Interessantes entdecken.«
Von oben aus dem Gebäude ertönte ein Lachen, auf das jemand mit einem Kichern und im Flüsterton antwortete. Die alte Frau hob die Kerze an. »Ich werde meinen alten Augen den Anblick von Guillaume LeBretons Nacktheit ersparen. Ziehen Sie nichts an, ehe Thea nicht einen Blick auf Ihre Rippen geworfen hat. Sie wird entscheiden, ob ein Verband vonnöten ist.« Sie wollte sich schon umdrehen, als sie noch einmal innehielt. »Sie hatten recht mit dem Jungen.«
»Das habe ich Ihnen gesagt.«
»Ich möchte ihn haben.«
Guillaume zog sich die Stiefel aus und dachte nach. »Er gehört Ihnen. Er muss sich ein paar Jahre von England fernhalten.«
»Wir werden ihm erlauben, eine Weile die übrige Bevölkerung von Europa zu bedrohen. Ich werde damit beginnen, ihm Manieren beizubringen. Das wird ein mühseliges Unterfangen sein.« Kerzengerade und hoch erhobenen Hauptes rauschte sie davon.
Guillaume stand grinsend auf. »Hawker steht eine interessante Zeit bevor.«
»Ich glaube, Madame Cachard auch.«
»Oh ja.«
Sie trat näher an ihn heran. Um sich zu verstellen, hatte Guillaume sich das raue Äußere eines armen Mannes zugelegt. Dazu gehörten der braune Hals und der gebräunte Oberkörper, als wäre er es gewohnt, ohne Hemd unter der gleißenden Sonne zu arbeiten. Er hätte auch als Bauer oder Seemann durchgehen können und dabei alle überzeugt. Das hatte sie in der kurzen Zeit, die sie ihn jetzt kannte, immer wieder beobachtet. Er log mit seinem ganzen Körper.
Aber seine Kraft war echt. Sie hatte seinen Körper erkundet. Als nur noch ihre Gefühle sie beherrscht hatten und sie nur noch an ihre Lust denken konnte, hatte ihre Haut ihn weiter erforscht. Zumindest ein Teil dessen, was sie dabei erfahren hatte, musste wahr sein.
Er knöpfte seine Hose auf.
»Du kannst dich hier nicht ausziehen«, mahnte sie ihn.
»Da hinten ist eine Trennwand. Lösch die Laterne, komm mit, und dann ziehen wir uns beide dahinter aus. Keiner kann uns dort sehen.«
Vielleicht hatte er sogar recht. Der Schein der Laterne erreichte ihn kaum, und es war dunkle Nacht. Er hatte seine Hosen heruntergezogen und stand jetzt barfuß in seinen caleçons im Hof. Dann legte er auch sein letztes Kleidungsstück ab. Offenbar war es ihm tatsächlich möglich, nichts zu tragen. Seine Nacktheit hatte etwas Bodenständiges, wie es bei Männern war, die auf Schiffen lebten, reisten oder in der Armee dienten, wo man keine Privatsphäre hatte.
»Ich hatte gehofft, dass sich noch eine Gelegenheit mit dir ergibt, ehe der Tag anfängt«, sagte er. »Aber wenn du deine Kleidung anbehältst, wird es die wohl nicht geben,
Weitere Kostenlose Bücher