Die Dornen der Rose (German Edition)
Nachrichten in Kenntnis setzen. Und Victor auch. Victor würde schimpfen und ihr die Schuld geben. Er würde ihr auch die Schuld geben, wenn ein Blitz das Château getroffen hätte und es daraufhin in Flammen aufgegangen wäre.
Guillaume schob seine große Gestalt in die Eingangshalle. Die Arme hinter dem Rücken verschränkt, stand er vor einer nackten Waldnymphe aus vergoldeter Bronze und betrachtete sie aufmerksam.
»Der Herr ist nicht …« Janvier ließ den Blick wieder über die Straße gleiten, als erwartete er, plötzlich eine Kutsche auftauchen zu sehen. Dann schloss er die Tür. Sein Misstrauen gegenüber Guillaume war ihm deutlich anzumerken.
»Mein Vater ist nicht … was?«
»Er ist nicht hier … um genau zu sein.«
Angst stieg in ihr auf. »Wo ist er … um genau zu sein?«
Janvier antwortete nicht. Er war kein Dummkopf, der Kammerdiener ihres Vaters, sonst hätte er sich niemals in seiner Position halten können. Wie jeder gute Dienstbote besaß er einen stark ausgeprägten Instinkt dafür, wann es besser war zu schweigen.
Irgendetwas stimmte nicht. Es gab zwar keine Beweise dafür in dieser ruhigen, sauberen, geordneten Eingangshalle, doch sie wusste es. Als würde sie über die vereiste Oberfläche eines Sees im Winter gehen und das leise Knacken unter ihren Füßen hören.
»Wie lange ist mein Vater schon fort? Eine Stunde?« Janvier würde es ihr irgendwann sagen, oder sie suchte sich jemand anders, der etwas wusste. »Einen Tag? Eine Woche?«
War ihr Vater verhaftet worden? War er mitten in der Nacht aus seinem Bett gezerrt und eilig von einem Trupp Gardisten fortgeschleift worden? So liefen solche Dinge dieser Tage ab. Es konnte jedem passieren. Sogar ihrem Vater. Sogar ihrem listigen Vater, der einen immer so wütend machte.
Wenn er im Gefängnis saß, konnte es bereits zu spät sein. Es war unendlich schwer, diejenigen zu retten, die schon ins Gefängnis geworfen worden waren.
Sie hatte ihrem Vater wohl an die hundert Gelegenheiten gegeben, Paris zu verlassen und Emigrant zu werden. Sie hatte mit ihm diskutiert, hatte ihm gesagt, dass er nach England gehen sollte, um in Sicherheit zu sein. Doch er hatte sich geweigert. Sie konnte nur hoffen, dass er wieder in Oslo war und sich Notizen über das Nistverhalten der norwegischen Gänse machte und sich nicht an irgendeiner Kriegsfront aufhielt, um die Fähigkeiten österreichischer Artillerieoffiziere auszukundschaften. Bei ihrem Vater wusste man nie.
Guillaume sah sie nicht direkt an. Er schaute in den hohen Spiegel und beobachtete sie darin, wobei seine Miene ausdruckslos blieb.
Hinter ihr öffnete sich eine Tür. Es war nicht ihr Vater, der aus dem Salon trat, sondern Victor. Der zu dieser frühen Stunde eigentlich nicht im Haus sein sollte.
»Cousin Victor.« Sie machte einen schnellen, kleinen Knicks, der fast schon unhöflich war. Wie häufig hatte ihr Vater schon zu ihr gesagt, sie sollte nett zu Victor sein? »Janvier hat die Sprache verloren. Sag du mir, wo Papa ist.«
»Wo bist du gewesen, Marguerite? Wir haben gehört …« Er unterbrach sich. »Warum bist du so angezogen?« Er sah zu Guillaume hin, der weiterhin in die Betrachtung der Nymphen versunken war. Es war weniger eine Kunstbetrachtung, sondern eher der anerkennende Blick eines Mannes, der Statuen nackter Frauen ansah.
»Wer ist das?«
Das war eine Frage, die sie sich schon seit längerer Zeit selber stellte. »Ich werde alles mit meinem Vater besprechen. Wo ist er? In Kurzform, bitte. Warum ist er nicht …«
Victor unterbrach sie. »Später.«
Das letzte Mal, als Victor im Haus gewesen war, hatte er noch keine Befehle gegeben. Irgendetwas stimmte ganz und gar nicht. »Warum bist du hier?«
»Nicht vor den Dienstboten«, fuhr Victor sie an. Er sah Janvier finster an – Janvier, der alle Familiengeheimnisse der letzten zwei Generationen kannte –, um sich dann mit ebenso finsterer Miene zu Guillaume umzudrehen. »Du hast mir immer noch nicht gesagt, wer dieser Mann ist.«
»Das ist eine Sache, um die sich mein Vater kümmern wird. Aber wenn du dich unter vier Augen mit mir unterhalten möchtest, können wir das gern tun. Komm mit. Gehen wir in den Salon.« Tu so, als wäre Guillaume ein Nichts. Völlig unwichtig . Im letzten Moment, als wäre es ihr beinahe entfallen, hielt sie noch einmal inne und sagte: »Setzen Sie sich, Bürger LeBreton, und warten Sie. Da, auf die Holzbank, und nichts anfassen. Mein Vater wird Sie bezahlen.«
Victor rührte sich
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