Die Dornen der Rose (German Edition)
Ich habe denen allerdings erzählt, dass mein Vater aus Sospel stammen würde; deshalb bin ich auch Franzose und habe französische Papiere.«
Manchmal, wenn sie mit ihrem Vater zusammen war – und dies war einer dieser Momente –, hätte sie am liebsten gebrüllt und auf den Boden getrommelt.
Sie griff in ihre Tasche – die linke Tasche, in der sich mehrere nützliche Kleinigkeiten befanden, nicht die rechte, in der das Geld war – und gab Nico noch eines der Bonbons, die er eigentlich nicht essen sollte. Hoffentlich hatte er einen Rossmagen.
Ihrem eigenen Magen ging es gerade nicht so gut. Auf dem Weg in die Tuilerien war ihr ganz plötzlich und unerwartet schlecht geworden. Ihr war immer noch übel. Bestimmt hatte sie etwas gegessen, was ihr nicht bekommen war. »Du gibst vor, Italiener zu sein.«
»Habe ich das nicht gerade gesagt? Hör doch zu. Übrigens habe ich mir in der Rue Manon für siebenundzwanzig Livres Papiere gekauft. Das ist sehr billig. Ich war überrascht.«
»Es gibt einen schwunghaften Handel mit gefälschten Ausweispapieren, Vater. Das ist für uns alle ein Schock. Warum hast du auf einmal beschlossen, Italiener zu werden?«
»Ich bin untergetaucht.« Er dachte nach. Ihr Vater dachte häufig und sehr gründlich nach. »Um meinen Feinden zu entkommen. Vielleicht hätte ich Deutscher werden sollen. Die Deutschen sind ein ernsthafteres Volk.«
»Du hast keine Feinde, Vater. Dass das Château in Brand gesteckt wurde, geschah nicht auf Befehl von Paris. Es gibt keinen Haftbefehl gegen dich. Ich habe Victor gefragt.«
»Die wollen mich nicht verhaften. Die wollen mich umbringen. Das ist etwas ganz anderes. Auch in den Zeiten der Revolution gibt es immer noch Mord. Man hat versucht, mich zu erstechen.«
»Wer?«
»Zwei Männer in einer dunklen Gasse. Ich kenne sie nicht.« Oben auf der Drehorgel war eine dünne, geflochtene Schnur befestigt. Nicos Leine. Ihr Vater nahm sie und ließ sie durch die Finger laufen, um das Ende zu fassen zu bekommen. »Es könnten Martinisten sein oder Leute, die von Fouché geschickt worden sind. Aber wahrscheinlich sind es die Engländer. Die Engländer sind höchstwahrscheinlich sehr verärgert. Sie könnten auch das Château in Brand gesteckt haben.« Er ließ es sich noch einmal durch den Kopf gehen. »Um mich auszuräuchern. Ja. Es sind die Engländer.« Er nickte. »Ich hoffe, du hast genug Geld mitgebracht. Es gibt in der Rue Percée ein Exemplar von Rahns Teutsche Algebra , das ich unbedingt haben muss. Man wird es mir nur für Münzgeld verkaufen. Und die haben da noch mehrere andere interessante Texte.«
Ihr Vater war in England gewesen. Nicht nur einmal, sondern mehrmals im Verlauf des letzten Jahres. »Was hast du in England gemacht, Vater?«
»Nichts Besonderes. Und ich habe auch nicht vor, wieder nach England zu gehen. Das Essen dort ist schrecklich. Du solltest mir jetzt das Geld geben, das du mitgebracht hast, und wieder nach Hause gehen. So spät abends ist es auf der Straße nicht sicher für dich. Die Leute beobachten einen, und überall lauern Verbrecher.«
Um sie herum waren viele Leute. Zwanzig Meter weiter zogen Männer und Frauen in fröhlichen Scharen über die Promenade und genossen die abendliche Brise. Keiner von ihnen verirrte sich in diesen stillen Winkel.
Was konnte ihr Vater nur angestellt haben?
Ihr Vater hielt die Leine jetzt nur noch mit einer Hand und stieß einen leisen Pfiff aus. Gehorsam sprang Nico von ihrem Arm auf den Boden. Er kletterte an ihrem Vater hoch, klammerte sich mit gebogenem Schwänzchen am Revers fest und tastete die Westentasche ab.
»Was hast du in England gemacht?« Sie holte die Geldbörse hervor und behielt sie in der Hand.
Er wandte den Blick ab und sah zu den Straßenlaternen hin. »Ich bin meiner Forschung nachgegangen. Meiner Forschung über Genies. Daran habe ich in England gearbeitet.«
Seine Genies. Das war eine weitere der seltsamen Forschungen ihres Vaters; vergleichbar mit der Berechnung der Umlaufbahn des Jupiter oder mit den Aufzeichnungen der Regenfälle. Nur ihr Vater konnte auf die Idee kommen, sich die Frage zu stellen, ob sich junge, potenzielle Genies schon frühzeitig auffinden ließen. Chemiker, Physiker, Mathematiker, Ingenieure, Erfinder aller Art, Strategen, politische Philosophen. Es war sicherlich harmlos. Er sammelte Informationen, fertigte Listen an. Im Anfertigen von Listen war er ein Meister. Er würde überprüfen, ob diese Engländer, Deutschen, Italiener in
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