Die Dornen der Rose (German Edition)
überbracht. Den ersten Schock hatte er schon überwunden. Sie brauchte ihm nur noch alles andere zu berichten, was nicht viel Zeit in Anspruch nahm. In diesem Zusammenhang musste sie ihm auch gestehen, dass sie seine Bibliothek nicht gerettet hatte. Ich habe nicht einmal meine eigenen Aufzeichnungen in Sicherheit gebracht, sondern war damit beschäftigt, mich selber zu retten . Noch einmal gab sie zu, seine Bibliothek nicht gerettet zu haben. Sie gab es mehrfach zu. Außerdem stimmte sie ihm zu, dass er die vollständige Zerstörung gewiss verhindert hätte, wäre er dort gewesen. Sie hörte sich die Worte an, die er von den Stufen des Châteaus an den Pöbel gerichtet hätte, um ihn aufzuhalten. Es waren sehr bewegende Worte.
»Auf mich hätte man gehört«, erklärte er. »Und du bist sicher, dass wirklich die gesamte Bibliothek vernichtet worden ist?«
Er war seltsam gekleidet, sogar für ihren Vater, der immer seltsam angezogen war. Er hatte einen Dreispitz auf dem Kopf und trug einen dunkelblauen Armeerock, der ihm viel zu groß war. Selbst im herrschenden Dämmerlicht schimmerten die Kupferknöpfe. Das Scharlachrot seiner Weste war so grell, dass es sogar im Licht der Laternen der Cafés auf der anderen Straßenseite zu erkennen war. Das Haar hing ihm zerzaust ins Gesicht. Sein ganzer Aufzug wirkte gleichzeitig schäbig und extravagant.
Ihr Vater sah zum Himmel über Paris auf und seufzte. Er hätte sie gern noch einmal gefragt, ob nicht doch ein paar seiner Bücher von ihr gerettet worden waren.
Nach einem langen Moment voller Melancholie meinte er: »Wir bringen unsere Besitztümer auf dem Altar der Geschichte dar. Es war unausweichlich, dass das Château eines Tages zerstört würde. Es hat länger überdauert, als ihm zustand. Die Republik wird sich am Ende alle großen Häuser nehmen und sie einer sinnvollen Nutzung zuführen, um daraus Schulen, Gefängnisse, Fabriken, vielleicht sogar Waisenheime oder Krankenhäuser zu machen.«
»Man hat das Château keinem guten Zweck zugeführt. Man hat es dem Erdboden gleichgemacht.«
Darauf sagte er nichts. Er besaß die ausgeprägte Fähigkeit, nur das zu hören, was er hören wollte.
»Alle fragen sich, wo du bist, Papa. Manche von uns machen sich Sorgen.« Sie strich sich mit der Hand übers Haar. »Was machst du eigentlich mit Nico? Er sollte doch im Haus der Peltiers sein.«
»Ich habe ihn mitgenommen. Sylvie hatte ihn bei irgendwelchen Dienstboten gelassen, und ich brauchte ihn.«
»Du wolltest einen Affen haben?«
»Ich bin ein Leierkastenmann. Ich brauche einen Affen. Es ist dieser Tage nicht leicht, in Paris einen Affen aufzutreiben.«
Bei ihrem Vater wusste man nie, selche seiner Worte zu einer List gehörten, was man dem leichten Anflug von Wahnsinn zuschreiben musste und was davon eigentlich ganz vernünftig war, aber durch seine sehr eigene Wortwahl seltsam klang. Zu seinen Füßen lehnte eine Kiste am Baum. Jetzt erst erkannte sie an den bunten Farben und der Handkurbel, was es war: die Truhe eines Leierkastenmannes. Eine Drehorgel. »Du bist ein Straßenmusikant?«
»Irgendetwas muss man doch tun. Wenn ich zu Hause bleibe und schreibe, wird man mir gegenüber argwöhnisch. Keiner bleibt dieser Tage zu Hause. Mit Nico bin ich über Misstrauen erhaben.«
»Du sammelst Geld in einem Hut?«
»Sei nicht albern. Das tut der Affe. Ich mache die Musik.«
»Das hätte mir klar sein müssen.« Sie lehnte sich an eine niedrige Marmorwand, die den geharkten Kiesweg von den Blumenbeeten des Rosengartens trennte. Nico kuschelte sich in ihre Armbeuge. Er liebte es, wenn man ihn hinter den Ohren kraulte und ihn über den Kopf streichelte, also tat sie es. »Fütterst du ihn auch ordentlich? Er sieht dünn aus.«
»Natürlich füttere ich ihn. Ich gebe ihm mein eigenes Essen. Marguerite, bleibst du bitte beim Thema? Hast du Geld mitgebracht?«
Sie hatte alles Geld mitgebracht, das sie in ihrem Zimmer gefunden hatte, und das war eine ansehnliche Summe. Schließlich wusste sie nie, wann La Flèche ihre Rücklagen benötigen würde. »Ich gebe es dir, sobald ich verstehe, was hier eigentlich vorgeht.«
»Ich bin Italiener. Ich spiele Musik auf der Straße. Ich spreche nur Italienisch und lebe mit den Italienern aus der Stadt zusammen. Ich bin aus Padua.« Er sann einen Moment lang darüber nach. »Padua war ein Fehler. Es ist eine Stadt, die ich verabscheue. Aber nachdem ich es einmal durch Zufall erwähnt hatte, konnte ich es nicht mehr zurücknehmen.
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