Die Dornen der Rose (German Edition)
trug.
Wieder hielt die Kutsche an – auf der Rue Tessier. Dieses Mal kam der Mann zufrieden nickend zurück. Man hatte ihn nicht abgewiesen. Sie erhaschte einen kurzen Blick auf Guillaume, als dieser von den Gardisten in die Mitte genommen wurde, sodass jeder Fluchtweg verstellt war, und eiligen Schrittes ins Gefängnis geführt wurde.
Sie ließ Adrian vor dem Gefängnistor stehen und taumelte um die nächste Ecke, wo er sie nicht mehr sehen konnte. In der schmalen Gasse stützte sie sich mit einer Hand an der Hauswand ab, um nicht umzufallen. Ihr war wieder übel. Ihr Herz klopfte so stark, dass ihr ganzer Körper zitterte.
»Sie haben ihn hineingebracht.« Hinkend und mit zusammengekniffenen Lippen kehrte Adrian zurück, um Bericht zu erstatten.
Sie zitterte und wusste nicht, ob aus Angst oder weil sie so schnell durch Paris gelaufen oder weil ihr so schlecht war.
»Die Kutsche ist weggefahren«, sagte der Junge. »Mit den Gardisten.«
Sie presste die Handballen tief in ihren Bauch. »Ich muss … ich muss ins Gefängnis und denen sagen, dass ein Irrtum vorliegt. Sie überzeugen.«
»Wenn Sie versuchen, da reinzugehen, tue ich Ihnen was an.«
»Du verstehst es nicht.« Ein dumpfes Dröhnen füllte ihren Kopf, das sie am Denken und Erinnern hinderte und ihr das Sprechen beinahe unmöglich machte. »Wenn ich warte, bis er unter Anklage gestellt ist und die Papiere beim Tribunal eingereicht sind, gibt es für ihn kein Zurück mehr. Ab jetzt kann ich vielleicht noch eine Stunde lang etwas erreichen. Ich werde mit ihnen reden …«
Adrian baute sich unbeugsam und überhaupt nicht jungenhaft dicht vor ihr auf. »Was ist das hier?«
»Ein Gefängnis. Früher war es mal ein Kloster. Jetzt ist es ein Gefängnis. Warte kurz. Sprich eine Minute lang nicht. Ich muss nachdenken.«
Sie atmete tief durch und versuchte, Angst und Übelkeit zu verdrängen. Victor war für all das verantwortlich. Die Klage war bereits eingereicht, der Haftbefehl gestern Abend ausgestellt worden. Es war zu spät, um es noch mit Bestechung zu versuchen oder jemanden mit Vernunft oder Flehen zu erweichen.
»Ihnen ist hundeelend, nicht wahr?«, fragte der Junge. »Ihre Augen sehen komisch aus. Die sind ganz schwarz. Nehmen Sie Opium?«
»Nein. Natürlich nicht. Lass mich nachdenken.«
Es war bereits zu spät gewesen, als sie heute Morgen Kaffee trank; als Guillaume sie nach Hause brachte; als Victor auf die Straße trat, um den Gardisten Anweisungen zu erteilen. Die Soldaten hatten auf der Lauer gelegen. Victor hatte damit gerechnet, dass Guillaume früher oder später zum Haus zurückkommen würde, hatte ihm eine Falle gestellt und gewartet.
»Sind Sie schwanger?«
»Wie bitte? Nein. Es sind …« Wieder verkrampfte sich ihr Magen. »Ich habe wohl etwas gegessen, das mir nicht bekommen ist. Das kann jedem passieren.« Sie taumelte, als sie sich von der Hauswand abstieß. »Das ist das Kloster Saint-Barthélémy. Man nutzt solche Gebäude jetzt für Gefangene, weil es keine Nonnen mehr gibt, dafür aber viele Gefangene.«
Sie ging bis ans Ende der Gasse, um zu dem Gefängnis hinüberzusehen, in das man Guillaume gebracht hatte – wo man ihn festhalten würde, bis Victor dafür sorgte, dass man ihn umbrachte.
Es handelte sich um ein sehr altes Kloster, das wie eine Festung gebaut war. Eine hohe, glatte Mauer bildete den Abschluss zur Straße. Jenseits der Mauer waren das Dach einer Kirche und das rot-blaue Fenster einer Kapelle zu erkennen, das während der Unruhen nicht zerstört worden war. Die Mauer war mit Spitzen bewehrt, und ein Mann mit einem Gewehr ging davor auf und ab.
»Egal wie viele sterben, die Gefängnisse sind immer voll. Es ist eine schreckliche Rechnung.« Das grelle Licht ließ ihre Augen schmerzen, sodass sie nicht richtig sehen konnte. Doch in ihrem Innern war alles dunkel und kalt. »Guillaumes Name steht bereits auf der Liste des Tribunals.«
»Werden Sie ja nicht ohnmächtig. Ich hau Ihnen eine runter, wenn Sie ohnmächtig werden. Und weinen Sie nicht.«
»Ich weine nicht.« Sie schloss die Augen. »Aber mir könnte gleich wieder schlecht werden. Das ist sehr wahrscheinlich.«
»Wenn Sie das tun, geh ich weg und lass Sie allein. Das schwöre ich. Verflixt und zugenäht. Die alte Hexe wird mich bei lebendigem Leibe räuchern. Die glaubt mir doch nie, dass ich das nicht mit Absicht gemacht habe.«
Welche alte Hexe? Aber das war unwichtig. »Es ist meine Schuld. Victor hat das veranlasst.«
»Ich weiß.
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