Die Dornen der Rose (German Edition)
… und sie würde ihn nie wiedersehen.
Das lasse ich nicht zu.
Sie stieß Tante Sophie beiseite und ging zur Hintertreppe. Die Köchin sah sie mit großen Augen an, als sie durch die Küche rannte. Sie lief durch den Garten, stolperte über den gepflasterten Weg, zog den Riegel vom Tor hoch, durch das man auf die hintere Straße gelangte, und war draußen.
Victor durfte sie nicht sehen. Sie machte einen Umweg, indem sie die Straße hinunterlief, die zur Rue Martin führte. Hier würden sie mit Guillaume entlangkommen. Sie rannte, wie sie sonst nur auf den Feldern zu Hause in Voisemont gerannt war, halb blind durch das grelle Sonnenlicht.
Dort am Ende der Straße stand Guillaume, umringt von Soldaten.
Sie stieß mit jemandem zusammen, der ihr in den Weg trat und kleiner als sie war. Dunkles Haar und ein schmales, waches, hungriges Gesicht. Eine weite, dunkle Jacke. Eine gestreifte Weste. Adrian. Er packte ihren Arm und hielt sie fest, während sich seine Finger in ihr Fleisch bohrten, bis es wehtat. »Halt.« Er war so unnachgiebig wie ein Pfosten.
»Die haben Guillaume. Ich muss weiter …«
»Du hältst jetzt die Klappe und hörst mir zu. Bleib stehen. Bleib sofort stehen.«
»Die haben …«
»Das seh ich, verdammt noch mal.«
»Die bringen ihn ins Gefängnis. Du verstehst das nicht. Er wird sterben.«
»Du kannst gar nichts für ihn tun, wenn sie dich in die Zelle nebenan sperren. Du wolltest doch tatsächlich direkt auf sie zu rennen. Verdammt, hat Gott dir denn nicht mehr Verstand als einem Kohlkopf gegeben?«
Er sprach Englisch mit einem so ausgeprägten Dialekt, dass sie ihn kaum verstand. Das war nicht mehr der gerissene, mürrische, sarkastische Junge, mit dem sie durch halb Frankreich gereist war. Das Geschöpf, das sie jetzt ansah, war verschlagen, brutal und vollkommen skrupellos. Er jagte ihr Angst ein.
Sie versuchte, ihm ihren Arm zu entwinden. »Ich hatte nicht vor, mich mit bewaffneten Männern anzulegen. Ich bin kein Dummkopf.«
»Dann ist es ja gut. Sehen Sie mich an.« Jetzt sprach er wieder Französisch. Er drückte ihren Arm. Schmerzhaft. »Schauen Sie mich an, nicht ihn. Wir unterhalten uns miteinander, Sie und ich. Wir machen einen Bummel, wollen Eier, Federn und Ziegenlämmer kaufen. Wir gehen in die gleiche Richtung, aber wir sehen ihn nicht. Wir schauen ihn überhaupt nicht an. Schauen Sie mich an.«
Du bist Engländer . »Sag mir nicht, was ich zu tun habe. Wir lassen ihnen einen kleinen Vorsprung. Dann folgen wir ihnen.« Dann hatte ich also recht. Guillaume ist ein englischer Spion .
Adrian atmete schnell. »Schon besser. Wir folgen ihnen. Das ist meine Welt. Ich weiß, was ich tun muss.«
»Und ich sage dir, Paris ist meine Welt, Adrian. Jetzt komm, ehe sie um eine Ecke gehen und wir sie verlieren.«
Guillaume und seine Bewacher waren um die Ecke geboten und marschierten weiter. Aber so viele und so entschlossene Männer waren nicht schwer wiederzufinden. Die Leute blieben stehen, starrten, zeigten mit dem Finger und tuschelten. An der Kirche von Saint-Grégoire wartete eine Kutsche. Sie ließen Guillaume einsteigen, dann folgten ihm drei Gardisten, und die Kutsche setzte sich in Richtung Süden in Bewegung.
Hinter der Ecke eines Hauses verborgen beobachtete sie die Geschehnisse. »Sie können ihn überall hinbringen. In Paris gibt es überall Gefängnisse.«
»Dann müssen wir uns an ihre Fersen heften. Halten Sie Schritt, sonst lasse ich Sie zurück, das schwöre ich.« Er warf ihr einen ungeduldigen Blick zu.
Sie hielt nicht nur Schritt, sie kannte die Stadt besser als Adrian. Sie wusste schon im Voraus, dass die Kutsche Richtung Pont Neuf fuhr. Sie schlüpften durch den dichten Verkehr auf der Uferstraße und überquerten die Brücke vor der Kutsche.
Am Conciergerie-Gefängnis blieb die Kutsche vor dem Tor stehen. Ein Gardist stieg aus. Nach nur einer Minute war er wieder zurück, und die Kutsche setzte sich wieder in Bewegung. Man hatte ihn abgewiesen. Nicht einmal für einen weiteren Gefangenen war in dieser großen Festung Platz.
Sie drangen tiefer in die ältesten Bezirke von Paris vor. Es war ein weiter Weg. Sie kannte die Sorbonne und Sainte-Geneviève wie ihre Westentasche. Sie nahm Abkürzungen durch enge Straßen, während sie immer wieder überlegte, welche Richtung die Kutsche wohl einschlagen würde. Eine Kutsche kam hier nicht schneller als im Schritttempo voran, und das, obwohl der Kutscher die weithin sichtbare, leuchtend rote Jakobinermütze
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