Die Dornen der Rose (German Edition)
Dieser fischgesichtige Mistkerl.« Das ausdruckslose Gesicht des Jungen wirkte durch die unnatürliche Stille, die sich ausgebreitet hatte, noch erschreckender. »Aber es ist Doyle, der in die Falle gegangen ist. Er hätte gar nicht erst in die Nähe Ihres Hauses gehen sollen. Wenn Sie unbedingt jemandem die Schuld geben wollen, dann Doyle.«
»Das werde ich. Und ich werde ihn auch da rausholen.« Jetzt weiß ich, wie er heißt. Er heißt Doyle. Doyle. »Ich muss irgendwo hin und mich setzen. Wir können hier nicht stehen bleiben.«
Sie mussten zu einem der geheimen Unterschlüpfe von La Flèche. Die Rädchen in ihrem Gehirn wollten sich nicht drehen, wie bei einem kaputten Uhrwerk, das stehen geblieben war und nicht wieder in Gang kam. Was liegt in der Nähe? Was steht leer? Sie hatte sich nie darum bemüht, alle Unterschlüpfe in Paris zu kennen. Sie trug bereits den Schlüssel von zu vielen Leben in ihrem Kopf.
Hinter ihnen ertönte eine Stimme. »Es wäre klug, von hier zu verschwinden.«
Marguerite drehte sich um. Ein gepflegtes Dienstmädchen kam auf sie zu. Das Mädchen war nicht aus dem Nichts erschienen. Es war einfach nur so unauffällig, so jung, dass sie nicht bemerkt hatten, wie es mit dem Korb über dem Arm und hochgesteckter, weißer Schürze, um sich nicht schmutzig zu machen, auf sie zugekommen war. Vielleicht war es ein Kindermädchen, obwohl es selber kaum der Kindheit entwachsen zu sein schien. Es gab Zehntausende in Paris wie sie. Man sah sie gar nicht mehr, so sehr gehörten sie zum Straßenbild.
Doch an ihrem Blick war nichts Unauffälliges. Er war bitter und wissend. Spöttisch. »Wenn Sie weiter hier so rumstehen und gaffen, werden bald Gardisten kommen und fragen, warum Sie vor einem Gefängnis herumlungern, in dem die Feinde der Republik untergebracht sind.«
»Ich hab dich schon mal gesehen«, sagte Adrian.
Seinem Tonfall nach würde er gleich sein Messer ziehen und etwas Drastisches tue. Und Guillaume war nicht da, um ihn aufzuhalten, also musste sie das tun. »Sei still, Adrian. Tu nichts, solange ich es dir nicht sage.«
»Ja, Junge, sei still.« Das Mädchen grinste frech. »Vielleicht hast du gesehen, wie ich eine Treppe geschrubbt habe. Ich interessiere mich schon länger für Sie.« Der Blick des Mädchens richtete sich auf sie. »Ich möchte Ihnen nur sagen, dass man den Duft der Rosen riecht, wenn der Wind günstig steht, ehe dieser blutrünstige Junge mich angreift.«
Sie ist eine von uns. Sie gehört zu La Flèche . »Die Rosen sind wunderschön, aber es ist verboten, sie zu pflücken. Wer bist du?«
»Ich bin die Eule. Man hat mir aufgetragen, Ihnen zu helfen, falls es notwendig sein sollte. Jetzt ist es notwendig. Ich kenne noch mehr Losungen, wenn Sie die auch hören wollen.«
Die Eule. Sie gehört zu Jean-Paul. Er hat von ihr gesprochen. Ich hätte nicht gedacht, dass sie so jung ist.
»Ich mag es nicht, wenn man sich für mich interessiert«, sagte Adrian.
»Dann solltest du dich bemühen, langweiliger zu sein, was? Und Sie auch, Bürgerin«, sagte sie wieder zu Maggie gewandt. »Wenn Sie erlauben, besorge ich eine Droschke und bringe Sie zu einem Unterschlupf. Dann lassen wir den Gärtner kommen.«
Jean-Paul. Ja. Ich brauche Jean-Paul.
Was sollte sie mit Adrian machen? La Flèche hatte im Laufe der Jahre Dutzenden von Engländern das Leben gerettet. Aber einen englischen Spion unter die Fittiche zu nehmen war etwas völlig anderes. Er hätte die Eule gar nicht sehen oder die Losung hören dürfen, und schon gar nicht durfte er mit in einen der Unterschlüpfe von La Flèche mitkommen. Sie wollte erst gar nicht darüber nachdenken, was er alles nicht hören durfte.
Inwieweit konnte ein Junge seines Alters schon ins Spionagehandwerk verstrickt sein?
Doch trotz seiner Jugend war er nicht vor Verhaftungen gefeit. Jemand konnte ihn mit Guillaume gesehen haben.
Was machen sie mit Guillaume?
»Der Heuboden im Freudenhaus ist leer«, sagte das Mädchen. »Da können wir hin. Nur ein paar von unseren Unterschlüpfen sind heute frei.«
»Jeder könnte die sechs oder acht Wörter der Losung kennen. Ich selber kenne sie jetzt ja auch. Das ist nichts Besonderes.«
»Und du bist ein Narr. Wenn ich dir Schaden zufügen wollte, bräuchte ich nur die Stimme zu erheben, den Wachposten da zu rufen und dich zu denunzieren. Das dauert nicht länger als eine Minute. Ich muss doch keine Zeit damit verschwenden, Losungen mit einem Dummkopf auszutauschen.«
Die beiden würden
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