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Die Dornenvögel

Die Dornenvögel

Titel: Die Dornenvögel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCoullough
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selbst zur Genüge darunter habe leiden müssen.« Sie schien sprechen zu wollen, doch dann senkte sie die Lider. In ihren Augen schimmerten Tränen. Sie schüttelte den Kopf, wie um sich davon zu befreien.
    »Schau, Meggie«, fuhr er fort, »das ist nur so eine Phase, ein
    - wenn man so will - Markstein auf deinem Weg, eine Frau zu werden. Und wenn du diese Frau geworden bist, wirst du dem Mann begegnen, der dazu bestimmt ist, dein Ehemann zu werden. Und dein Leben wird dich so sehr in Anspruch nehmen, daß du keine Zeit mehr haben wirst, an mich zu denken, außer daß ich dir vielleicht ein guter Freund war, der dir beim Erwachsenwerden über einige scheußliche Klippen hinweggeholfen hat. Auf gar keinen Fall darfst du es bei dir zur Gewohnheit werden lassen, mich sozusagen in den Mittelpunkt gewisser romantischer Träume zu stellen. Ich kann in dir nie das sehen, was ein Ehemann in dir sehen würde. In dieser Weise denke ich nie an dich, Meggie, verstehst du? Wenn ich sage, daß ich dich liebe, so meine ich nicht, daß ich dich als Mann liebe. Ich bin ein Priester, nicht ein Mann. Wovon du auch immer träumen magst, träume nicht von mir. Ich gehe fort, und ich bezweifle sehr, daß ich die Zeit haben werde, irgendwann zurückzukommen, und sei es auch nur auf einen Besuch.«
    Ihre Schultern waren gebeugt, wie unter einer sehr schweren
    Last. Doch sie hob den Kopf und sah ihm direkt in die Augen. »Ich werde nicht von Ihnen träumen, keine Sorge. Ich weiß ja, daß Sie ein Priester sind.«
    »Ja, das bin ich. Und ich glaube nicht, daß ich eine falsche Wahl getroffen habe. Denn dieses Priester-Sein befriedigt ein Bedürfnis in mir, das kein Mensch je befriedigen könnte, auch du nicht.« »Ich weiß. Ich kann es sehen, wenn Sie eine Messe halten. Von Ihnen geht so etwas aus, so eine Kraft. Ich glaube fast, daß Sie sich fühlen müssen wie unser Herrgott.«
    »Ich will dir sagen, was ich fühle, Meggie. In der Kirche fühle ich jeden angehaltenen Atemzug, und im Laufe des Tages vergehe ich, um am nächsten Morgen bei der Messe wiedergeboren zu werden. Doch weshalb das so ist, weiß ich nicht. Wenn ich es doch nur wüßte! Ist es, weil ich des Herrn erwählter Priester bin, oder weil ich sie höre, diese angehaltenen Atemzüge, dieses wie erschrockene Stocken des Atems, so daß ich also weiß, daß ich Macht besitze über die Seelen all jener, die anwesend sind?« »Kommt es darauf an? Es ist eben so.«
    »Nun, vielleicht erscheint es dir nicht weiter wichtig. Aber für mich ist es wichtig, sehr. Denn ich zweifle, ich zweifle.« Sie wechselte das Thema, lenkte das Gespräch auf das, was für sie im Mittelpunkt stand. »Ich weiß nicht, wie ich ohne Sie auskommen soll, Pater. Zuerst Frank und nun Sie. Mit Hai ist das irgendwie anders. Ich weiß, daß er tot ist und nie zurückkommen kann. Aber Sie und Frank - ihr beide lebt doch! Ich werde mich immer fragen, wie es Ihnen geht und ob es Ihnen gut geht, was Sie gerade tun und ob ich Ihnen nicht irgendwie helfen könnte oder sollte. Ich werde mich sogar fragen, und wohl auch fragen müssen, ob Sie überhaupt noch am Leben sind.«
    »Mir wird es nicht anders gehen, Meggie. Und ich bin sicher, auch bei Frank ist das so.«
    »Nein. Frank hat uns vergessen ... wie Sie uns vergessen werden.« »Ich könnte dich nie vergessen, Meggie, solange ich auch lebe. Und ich werde wohl sehr lange leben, schon zur Strafe.« Er stand auf und reichte ihr die Hand, um sie vom Baumstamm hochzuziehen. Dann nahm er, freundlich und liebevoll, mit lockerem Griff ihre Schultern zwischen seine Hände. »Ich glaube, dies ist unser Adieu, Meggie. Wir können nie wieder miteinander allein sein.«
    »Wenn Sie kein Priester wären, Pater, hätten Sie mich dann geheiratet?«
    Plötzlich störte ihn die Anrede. »Nenn mich nicht immer Pater! Ich heiße Ralph.«
    Eine Antwort auf ihre Frage war das allerdings kaum. Wenn er sie auch in einer Art Umarmung hielt, die Absicht, sie zu küssen, hatte er keineswegs. Ihr Gesicht, zu ihm emporgehoben, lag jetzt im Dunkeln, fast völlig unkenntlich. Der Mond schien nicht mehr. Irgendwie standen sie auf einmal näher beieinander, und der Priester spürte an seinem Brustkorb einen eigentümlichen Druck, den Druck von Meggies kleinen, spitzen Brüsten, ein fremdartiges, ein verstörendes Gefühl. Noch tiefer jedoch beunruhigte ihn etwas anderes. Meggie hatte ihre Arme um seinen Hals geschlungen, und diese Geste wirkte so selbstverständlich, fast schon, als wäre

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