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Die Dornenvögel

Die Dornenvögel

Titel: Die Dornenvögel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCoullough
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gewonnen. Noch nie hatte jemand so etwas gesehen. Um den äußeren Rand der Iris zog sich ein sehr dunkler, grauer Ring, doch die Iris selbst war so fahl, daß man sie weder blau noch grau nennen konnte. Die genaueste, wenn auch paradox wirkende Bezeichnung schien zu sein: ein dunkles Weiß. Es waren sehr auffallende Augen, gar kein Zweifel. Irgendwie hatten sie etwas Beklemmendes, etwas Nichtmenschliches. Man hätte meinen können, es seien die Augen einer Blinden. Allerdings zeigte sich, daß Justine durch sie ganz ausgezeichnet sehen konnte.
    Doc Smith war wegen ihres, wie ihm schien, abnorm großen Kopfes besorgt gewesen. Er sprach zwar zu niemandem davon, doch die eigenartigen Augen verstärkten seine Befürchtungen noch. War sie vielleicht hydrozephal, wie das die hochgelehrten Mediziner heutzutage nannten, oder - in seiner eigenen Ausdrucksweise - hatte sie vielleicht einen Wasserkopf? Ein halbes Jahr lang hielt er sie sehr aufmerksam unter Beobachtung, doch es schien, daß es Justine keineswegs an Gehirnsubstanz fehlte. Sie besaß ganz einfach einen besonders großen Kopf, und als sie heranwuchs, renkte sich das in den Proportionen mehr oder minder ein.
    Luke ließ sich nicht blicken. Meggie hatte ihm wiederholt geschrieben, doch er beantwortete ihre Briefe nicht, geschweige denn, daß er kam, um sich sein Kind anzusehen. In gewisser Weise war sie froh darüber. Was sollte sie zu ihm sagen? Wie würde er sich wohl verhalten? Denn es war ja eine Tochter, die sie ihm geschenkt hatte, und kein Sohn, dessen Existenz ihn hätte versöhnlich stimmen können. Doch gerade das bereitete Meggie eine tiefe Befriedigung. Justine erschien ihr als der lebende Beweis dafür, daß auch der große Luke O’Neill nicht vollkommen war.
    Das Baby gedieh, jedenfalls war sein Gesundheitszustand entschieden besser als der seiner Mutter. Mit vier Monaten hörte Justine auf, soviel zu schreien, und es schien ihr
    Vergnügen zu bereiten, sich mit den bunten Perlen zu beschäftigen, die sie in ihrer Wiege in Reichweite hatte. Doch nie lächelte sie jemanden an.
    Die Feuchte kam frühzeitig, schon im Oktober, und es war eine sehr feuchte Feuchte. Tag für Tag peitschte der Regen auf »Himmelhoch« herab, weichte den roten Erdboden auf, durchnäßte das Zuckerrohr, füllte den breiten, tiefen Dungloe River immer mehr. Dennoch trat der Fluß nicht über die Ufer: Sein Weg bis zur Küste, bis zum Ozean war kurz.
    Irgendwann tauchte die Sonne wieder auf, die Erde dampfte, das feuchte Zuckerrohr glänzte und funkelte, und der Fluß ähnelte einer großen, goldenen Schlange. Dann erschien vor der Himmelswölbung ein Regenbogen, ein Doppelregenbogen sogar, dessen Farben von einer solchen Leuchtkraft waren, daß sie wohl jede Landschaft recht buchstäblich in den Schatten gestellt hätten, nur die Landschaft von North Queensland nicht. Die Farbtöne dieses Landes hier waren sozusagen von Grund auf so satt und so üppig, daß sie sich kaum durch irgend etwas übertreffen ließen.
    An einem Tag Anfang Dezember kam Anne auf die Veranda und setzte sich neben Meggie. Sie sah sie insgeheim aufmerksam an. O Gott, wie dünn war sie nur, wie leblos wirkte sie! Selbst das wunderschöne goldene Haar schien viel von seinem Glanz verloren zu haben.
    »Meggie, ich weiß nicht, ob ich etwas Falsches getan habe, aber ich habe es jedenfalls getan, und bitte hören Sie mich erst an, bevor Sie vielleicht nein sagen.«
    Lächelnd wandte Meggie den Kopf. Sie hatte den Doppelregenbogen betrachtet. »Das klingt so ernst, Anne. Was soll ich mir anhören, bevor ich vielleicht nein sage?« »Luddie und ich, wir machen uns beide Sorgen um Sie. Nach der Entbindung haben Sie sich nicht so erholt, wie Sie sich hätten erholen müssen, und jetzt bei der Feuchte geht es Ihnen offenbar noch schlechter. Sie essen nicht richtig, Sie verlieren Gewicht. Gewiß ist Ihnen das Klima hier nie besonders gut bekommen. Aber solange alles seinen normalen Gang ging, sind Sie damit doch einigermaßen fertig geworden. Jetzt allerdings meinen wir, daß Sie ganz und gar nicht auf dem Posten sind, und wenn man nichts unternimmt, dann werden Sie noch wirklich krank werden.«
    Sie schwieg einen Augenblick. »Und so habe ich an einen Bekannten im Reisebüro geschrieben und einen Urlaub für Sie gebucht. Bitte protestieren Sie nicht wegen der Kosten. Wir brauchen dafür nicht aufzukommen und Luke auch nicht. Der Erzbischof hat uns einen Scheck für Sie geschickt, über eine beträchtliche Summe,

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