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Die Dornenvögel

Die Dornenvögel

Titel: Die Dornenvögel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCoullough
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Augen waren jetzt ohne allen Glanz. Sie blickten ihn genauso ausdruckslos, so jenseits jeder Hoffnung an wie ... Ja, nun fiel es ihm ein: Es war die gleiche grauenvolle Leere wie bei ihrer Mutter, dieses Sich-abseits-Halten, dieses Wie-abgetötet-Sein. »Ich habe sie noch, in meinem Meßbuch. Und jedes Mal, wenn ich eine Rose von dieser Farbe sehe, Meggie, dann denke ich an dich. Ich liebe dich, Meggie. Du bist meine Rose. Das schönste Menschenbild, der schönste menschliche Gedanke,
    den es in meiner Vorstellung geben kann.«
    Plötzlich wirkte ihr Mund wieder schroff, war in ihren Augen wieder der harte Glanz. »Ein Bild, ein Gedanke! Ein menschliches Bild und ein menschlicher Gedanke, nur in deiner Vorstellung existierend! Ja, das ist alles, was ich für dich bin! Und du, Ralph de Bricassart, bist nichts als ein romantischer Narr, der vor sich hinträumt! Du weißt genausowenig, was das Leben eigentlich ist, wie dieser Nachtfalter, diese Motte, von der ich gesprochen habe, die immer zum Licht will und gegen alles andere blind ist! Kein Wunder, daß du Priester geworden bist. Du kämst als normaler Mann in einem normalen Leben genausowenig zurecht wie dieser normale Mann namens Luke!
    Du sagst, du liebst mich. Dabei weißt du gar nicht, was Liebe ist. Du sprichst solche Wörter nur aus, weil du meinst, daß sie gut klingen! Im Grunde wundert mich allerdings nur eines - wie kommt es, daß ihr Männer es noch nicht geschafft habt, ganz auf uns Frauen zu verzichten, was ihr doch am liebsten tun würdet, nicht wahr? Ihr solltet es so einrichten, daß ihr einander heiraten könnt. Dann würdet ihr euch allesamt fühlen wie im Paradies!« »Meggie, sprich nicht weiter! Ich bitte dich - sprich nicht weiter!« »Geh doch, geh doch fort! Ich will dich gar nicht sehen! Und eines hast du bei deinen kostbaren Rosen vergessen, Ralph - sie haben häßliche spitze Dornen!« Er verließ das Zimmer, ohne zurückzublicken.
    Ein Telegramm informierte Luke, daß er Vater eines fünf Pfund schweren Mädchens namens Justine geworden war. Er machte sich nicht die Mühe, darauf zu antworten. Meggie begann allmählich sich zu erholen, und das Baby schien zu gedeihen. Wäre sie imstande gewesen, das Kind zu stillen, hätte sich zwischen ihr und dem mageren, offenbar ewig mißgelaunten Baby vielleicht eine innere Bindung entwickelt. Doch in den Brüsten, an denen Luke so gern gesaugt hatte, war keine Milch - welch eine Ironie, dachte sie. Sie tat, was zu den sogenannten Mutterpflichten gehörte, gab dem rothaarigen, rotgesichtigen Bündelchen die Flasche, wechselte die Windeln, wartete darauf, daß in ihr ein wunderbares, ein allüberwältigendes Gefühl sich entwickeln werde. Doch es stellte sich nicht ein. Nie empfand sie das Verlangen, das winzige Gesicht mit Küssen zu bedecken oder zärtlich die kleinen Finger in den Mund zu nehmen oder sonst irgend etwas zu tun, wodurch Mütter ihre Liebe auszudrücken suchen. Sie hatte nicht das Gefühl, daß es ihr Baby war, und es schien, daß das Kind sie genausowenig wollte und brauchte, wie sie es. Es, Es! Es kam ihr nicht einmal in den Sinn, an das Kind mit »sie« zu denken.
    Luddie und Anne wären nie auf die Idee verfallen, Meggie könnte ihr Töchterchen nicht lieben. Stets war sie zur Stelle, wenn Justine weinte oder schrie, sie wiegte sie in ihren Armen, legte sie trocken oder tat, was immer sonst notwendig schien. Sonderbar war nur, daß Justine offenbar gar nicht hochgehoben und getröstet werden wollte. Überließ man sie sich selbst, beruhigte sie sich viel schneller. Die rötliche Tönung verlor sich ziemlich rasch. Justines Haut bekam jenes durchsichtige Aussehen, wie man es bei Rothaarigen so häufig findet. Nach einiger Zeit wirkte ihr kleiner Körper keineswegs mehr mager, sondern wurde rundlich. Das Haar, inzwischen kräftiger und krauser, zeigte jenen flammenden Farbton, wie man ihn früher einmal bei ihrem Großvater Paddy gesehen hatte. Und die Farbe ihrer Augen? Noch schien sie nicht eindeutig festgelegt. Luddie meinte, eines Tages würden sie wohl genauso blau leuchten wie die ihres Vaters. Anne schwor auf das Grau der mütterlichen Augen, Meggie selbst blieb ohne Meinung. Wie sich dann zeigte, waren Justines Augen ganz und gar ihre eigenen Augen - und es waren Augen, die den Betrachter - um das mindeste zu sagen -eigentümlich betroffen machten.
    In der sechsten Woche begannen sie, sich zu verändern, in der neunten Woche hatten sie ihre endgültige Form und Farbe

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