Die Dornenvögel
Irgendeinen Bissen in der einen und ein Gläschen Alkohol in der anderen Hand, hörte er sich während einer solchen Pause an, was Anne und Luddie ihm über Meggies früheres Leben erzählten.
»Sie haben recht, Anne«, sagte er. »Das viele Reiten ist sicher mit ein Grund dafür, daß sie jetzt solche Schwierigkeiten hat. Als der Damensattel aus der Mode kam, war das sehr schlecht für die Frauen, die viel reiten mußten. Der Herrensitz entwickelt die falschen Muskeln.«
»Ich habe gehört, das sei nichts als ein Ammenmärchen«, sagte der Erzbischof nachsichtig.
Doc Smith warf ihm einen scharfen Blick zu. Katholische Priester mochte er nicht. In seinen Augen waren sie ein frömmelndes Pack faselnder Narren.
»Glauben Sie, was immer Sie glauben wollen«, sagte er. »Aber, Euer Exzellenz - was würde Ihnen Ihr Gewissen raten, wenn es am Ende darum ginge, entweder das Leben der Mutter oder aber das des Kindes zu erhalten?«
»Die Haltung der Kirche ist da eindeutig und unverrückbar, Doktor. Es darf nie ein Entweder-Oder geben. Weder darf das Kind getötet werden, um die Mutter zu retten, noch die Mutter, damit das Kind gerettet wird.« Er erwiderte den harten Blick des Arztes mit einem Blick von nicht weniger ätzender Schärfe. »Aber falls es soweit kommen sollte, Doktor, würde ich nicht zögern, Ihnen zu sagen: >Retten Sie Meggie, und zum Teufel mit dem Kind.<« Der Arzt starrte verdutzt, lachte dann laut auf und gab dem Priester einen anerkennenden Schlag auf den Rücken. »Donnerwetter, das hätte ich nicht erwartet«, sagte er. »Na, seien Sie nur beruhigt, ich werde nicht ausposaunen, was Sie mir da eben anvertraut haben. Im übrigen sieht’s bis jetzt noch nicht danach aus, als ob wir eine solche schwerwiegende Entscheidung werden treffen müssen.«
Anne dachte für sich: Würde seine Antwort wohl genauso ausfallen, wenn das Kind von ihm wäre?
Etwa drei Stunden später, als die Nachmittagssonne immer mehr den dunstigen Umrissen des Mount Bartle Frere entgegensank, kam Doc Smith aus dem Schlafzimmer.
»Es ist überstanden«, sagte er zufrieden. »Meggie wird eine ganze Weile brauchen, um wieder richtig auf die Beine zu kommen, aber so Gott will, wird sie sich auch wieder völlig erholen. Das Kind ist ein Mädchen, kaum fünf Pfund schwer, aber mit einem enorm großen Kopf, auf dem geradezu giftrotes Haar zu sehen ist, und entsprechend steht’s mit ihrem Temperament - ich möchte wetten, dieses kleine Ding ist überhaupt nicht umzubringen.« Er lächelte. »Nur gut, daß ich nicht wirklich in die Verlegenheit gekommen bin, das zu versuchen - könnte nämlich sein, daß sie mich gewaltig Mores gelehrt hätte!«
Luddie holte die Flasche Champagner, die er eigens für diesen Zweck aufgehoben hatte, und ließ den Korken knallen. Und dann standen sie alle fünf im Kreis - der Priester, der Arzt, die Hebamme, der Farmer und seine Frau - und tranken auf das Wohl der Mutter und des mageren, doch aus Leibeskräften schreienden Babys. Es war der 1. Juni: Winteranfang in Australien.
Der Arzt fuhr mit der Hebamme davon. Inzwischen war eine Krankenschwester eingetroffen, die sich um Meggie kümmern sollte, bis sie endgültig außer Gefahr war. Anne, Luddie und der Erzbischof betraten das Schlafzimmer.
Das große Doppelbett ließ Meggie besonders schmal, fast winzig erscheinen. Tief im Innern, am Rande von Ralphs Bewußtsein, saß ein Schmerz. Meggie, dachte er, meine arme, geschundene Meggie ... Ich werde dich immer lieben, aber ich kann dir nicht geben, was Luke O’Neill dir gegeben hat, und mag er es auch noch so widerstrebend getan haben.
Das kleine Menschenbündel, das soviel Aufregung und Unruhe verursacht hatte, lag jetzt in einer Korbwiege und schrie weiter seine durchdringenden Proteste in die Welt hinaus. Um das neugierig rundherum versammelte Publikum kümmerte es sich herzlich wenig. Schließlich nahm die Schwester die Wiege samt dem Baby und trug sie in den Raum, der als Kinderzimmer vorgesehen war. »Eine gesunde Lunge hat sie jedenfalls«, sagte der Erzbischof lächelnd, während er sich auf die Bettkante setzte und Meggies Hand ergriff.
»Ja, aber sehr scheint sie das Leben nicht zu lieben«, erwiderte Meggie und lächelte zurück. Wieviel älter er doch aussah! Zwar genauso energievoll, ja sportlich wie früher, aber doch wesentlich älter. Sie blickte zu Anne und Luddie und streckte ihnen die freie Hand entgegen. »Meine Freunde, was wäre ohne euch nur geworden? Hat Luke schon von sich
Weitere Kostenlose Bücher