Die Dornenvögel
und ein zweiter ist von Ihrem Bruder gekommen und von allen auf Drogheda, für Sie und das Baby. Ich glaube, man möchte nur zu gern, daß Sie nach Hause kommen, zumindest für eine Weile. Aber Luddie und ich sind nach reiflicher Überlegung zu dem Schluß gekommen, daß Drogheda unter den Umständen durchaus nicht der beste Erholungsort für Sie wäre. Was Sie brauchen, so glauben wir, ist Zeit und Gelegenheit, um mit allem ins reine zu kommen. Und dabei können Sie Justine nicht gebrauchen und auch nicht uns und auch nicht Luke und auch nicht Drogheda. Sind Sie jemals ganz für sich gewesen, Meggie? Nun, ich glaube, es wird Zeit dafür. Und deshalb haben wir für Sie auf der Matlock-Insel für zwei Monate eine Cottage gemietet, und zwar von Anfang Januar bis Anfang März. Luddie und ich werden uns um Justine kümmern. Sie wissen, daß sie bei uns gut aufgehoben ist. Sollte es aber den geringsten Anlaß zur Besorgnis geben, werden wir Sie sofort verständigen. Auf der Insel können wir Sie telefonisch erreichen. Es würde also nicht lange dauern, Sie zurückzuholen.«
Der Doppelregenbogen war verschwunden und die Sonne auch, es schien wieder regnen zu wollen.
»Anne, wenn nicht Sie und Luddie gewesen wären in diesen letzten drei Jahren, so wäre ich verrückt geworden, das wissen Sie. Manchmal wache ich nachts auf und frage mich, was wohl hätte werden sollen, wenn Luke mich zu anderen, weniger freundlichen Menschen gegeben hätte. Sie haben sich ja mehr, viel mehr um mich gekümmert als Luke.«
»Ach, Unsinn, was hätte schon werden sollen? Im Falle des Falles wären Sie wahrscheinlich nach Drogheda zurückgefahren, und wer weiß - vielleicht hätte sich so alles am schnellsten wieder eingerenkt.« »Nein. Sie ist wirklich nicht angenehm gewesen, diese Sache mit Luke, aber es war besser, daß ich hiergeblieben bin und sie durchgestanden habe.«
Es regnete wieder, noch nicht unmittelbar über dem Haus, aber doch über den Feldern in der Nähe. Wie ein Trennungsstrich, ja fast wie ein spaltendes Beil war die Regenwand.
»Sie haben recht«, sagte Meggie. »Ich bin nicht richtig auf dem Posten. Und eigentlich - eigentlich fühle ich mich nicht recht gut, seit ich Justine empfangen habe. Ich habe versucht, mich zusammenzunehmen, aber irgendwo kommt man wohl an den Punkt, wo die Energie dafür dann nicht mehr reicht. Ach, Anne, ich bin ja so müde und so entmutigt! Ich bin Justine nicht einmal eine gute Mutter, und das wäre ich ihr nun doch wirklich schuldig. Denn ich war es ja, die sie haben wollte. Sie hat mich wahrhaftig nicht darum gebeten, in die Welt gesetzt zu werden. Aber in der Hauptsache bin ich so entmutigt, weil Luke mir überhaupt keine Chance gibt, ihn glücklich zu machen. Er lebt nicht mit mir zusammen, ich kann ihm kein Heim bereiten, er will unser Kind nicht. Nun, es stimmt schon, ich liebe ihn nicht. Ich habe ihn nie so geliebt, wie eine Frau den Mann lieben sollte, den sie heiratet, und vielleicht hat er das von Anfang an gespürt. Hätte ich ihn geliebt, hätte er sich vielleicht auch anders verhalten. Wie kann ich ihm also irgend etwas vorwerfen? Nur mir selbst kann ich Vorwürfe machen,
glaube ich.« »Sie lieben den Erzbischof, nicht wahr?«
»Ralph de Bricassart - ja, ich habe ihn geliebt, seit ich ein kleines Mädchen war. Armer Ralph! Ich hatte kein Recht, zu ihm zu sagen, was ich gesagt habe. Denn er hat mich nie ermutigt, wissen Sie. Ich hoffe, daß er Zeit hat, über alles nachzudenken. Dann wird er sicherlich verstehen, wie es dazu kommen konnte, daß ich so redete. Nur an eines konnte ich denken, immer nur an dieses eine, daß es eigentlich sein Kind sein müßte - und sein Kind konnte es nie sein, würde es nie sein können. Und es ist doch einfach nicht recht! Ein protestantischer Geistlicher kann heiraten, weshalb also nicht auch ein katholischer? Und sagen Sie mir nicht, daß ein Pastor sich weniger um seine Herde kümmert als ein Pfarrer. Es gibt herzlose Pfarrer und wunderbare Pastoren. Aber wegen des Gebots der Ehelosigkeit für katholische Priester konnte es für mich bei Ralph nie eine Zukunft geben, und deshalb habe ich einen anderen geheiratet und von einem anderen ein Kind empfangen. Und soll ich Ihnen etwas sagen, Anne? Das ist eine genauso zu verabscheuende Sünde, als ob Ralph seine Gelübde brechen würde - wahrscheinlich ist sie sogar schlimmer. Es paßt mir einfach nicht, daß die Kirche unterstellt, meine Liebe zu Ralph oder seine Liebe zu mir sei falsch!«
Weitere Kostenlose Bücher