Die Dornenvögel
»Meggie«, sagte Anne, »ein Tapetenwechsel ist für Sie zweifellos wirklich das beste. Genießen Sie die Ruhe, gewinnen Sie von allem Abstand. Und wenn Sie dann ausgeruht und erholt zurückkommen, können Sie vielleicht Luke dazu bewegen, die Station zu kaufen, statt nur darüber zu reden. Ich weiß, daß Sie ihn nicht lieben, und doch - wenn er Ihnen nur die Chance dazu gäbe, könnten Sie mit ihm vielleicht glücklich sein.«
Die grauen Augen hatten die gleiche Farbe wie der Regen, der jetzt auch auf das Haus fiel. Die Stimmen der beiden Frauen hoben sich unwillkürlich, um durch das laute Prasseln auf dem Dach vernehmlich zu bleiben.
»Aber gerade daran hapert’s doch, Anne! Als Luke und ich nach Atherton fuhren, wurde mir klar, daß er nie sein Zuckerrohr im Stich lassen würde, solange er nur die Kraft dazu hätte, es zu schneiden. Er liebt das Leben, das er führt, er liebt es wirklich. Er liebt es, mit Männern zusammen zu sein, die so stark und so unabhängig sind wie er selbst. Er liebt es, von einem Ort zum anderen zu ziehen. Und dieser Wandertrieb ist schon immer an ihm gewesen, wenn ich’s recht bedenke. Was sein Bedürfnis nach einer Frau betrifft - zu seinem Vergnügen, wenn schon zu nichts sonst -, da fordert das Zuckerrohr seine ganze Energie. Und es macht ihm auch nichts aus, auf dem Fußboden zu schlafen oder aus dem Kochgeschirr zu essen, ganz im Gegenteil. Verstehen Sie, worauf ich hinaus will? Mit hübschen, angenehmen Dingen kann man ihn nicht locken, sondern höchstens verschrecken. In seinen Augen sind das nämlich Dinge, die ihn verweichlichen. Und so bleibt mir nichts, gar nichts, das ihn dazu verführen könnte, seinem jetzigen Leben abzuschwören.« Sie hob den Kopf und blickte ärgerlich zum Verandadach, als wäre sie es leid, fortwährend ihre Stimme heben zu müssen. »Ich weiß nicht, Anne, ob ich stark genug bin, für die nächsten zehn oder fünfzehn Jahre die Einsamkeit zu ertragen, kein eigenes Heim zu haben - ja, zehn oder fünfzehn Jahre -, bis Luke im Zuckerrohr seine Kräfte erschöpft. Hier auf >Himmelhoch< ist es wirklich schön. Ich möchte nicht, daß Sie mich für undankbar halten. Aber ich möchte ein Heim, ein eigenes Heim! Ich möchte, daß Justine Geschwister hat, ich möchte auf meinen eigenen Möbeln Staub wischen, ich möchte Vorhänge für meine eigenen Fenster machen, ich möchte auf meinem eigenen Herd für meinen eigenen Mann kochen. Oh, Anne! Ich bin eine ganz gewöhnliche Frau. Ich bin nicht ehrgeizig, ich bin nicht intelligent, ich bin nicht besonders gebildet. Alles, was ich mir wünsche, das ist ein Mann, das sind Kinder, ein eigenes Heim. Und ein bißchen Liebe von irgend jemandem.«
Anne holte ihr Taschentuch hervor, fuhr sich damit über die
Augen und versuchte zu lachen. »Na, wir beide sind vielleicht ein Paar - sentimental ist schon gar kein Ausdruck! Aber ich verstehe, Meggie, ich verstehe wirklich. Seit zehn Jahren bin ich jetzt mit Luddie verheiratet, und diese zehn Jahre sind in meinem Leben die einzigen glücklichen gewesen. Mit fünf Jahren bekam ich Kinderlähmung, und die Folgen sieht man ja noch. Ich war fest davon überzeugt, daß mich nie jemand auch nur ansehen werde. Und es sah mich ja auch nie jemand an, weiß Gott. Als ich Luddie begegnete, war ich dreißig Jahre alt und verdiente mir meinen Lebensunterhalt als Lehrerin. Er war zehn Jahre jünger als ich, und so nahm ich ihn einfach nicht ernst, als er sagte, daß er mich liebe und mich heiraten wolle. Wie furchtbar, Meggie, das Leben eines so jungen Menschen zu ruinieren! Fünf Jahre lang habe ich ihn auf eine Weise behandelt, wie sich das normalerweise niemand gefallen lassen würde, doch er - er ließ sich dadurch nicht beirren, nicht abhalten. Und so habe ich ihn schließlich geheiratet und bin seitdem glücklich. Luddie sagt, er sei es auch, aber ich bin da nicht so sicher. Er hat sehr viel für mich aufgeben müssen, nicht zuletzt auch die Hoffnung auf eigene Kinder, und er sieht jetzt älter aus als ich, der arme Kerl.« »Das macht das Leben, Anne, und das Klima.« Der Regen hörte plötzlich auf, wie er eingesetzt hatte. Die Sonne kam wieder hervor, in voller Pracht standen am dampfenden Himmel die Regenbogen, und Mount Bartle Frere trat in eigentümlicher lilafarbener Tönung aus den ziehenden Wolken. Meggie sprach wieder. »Ich werde reisen. Ich bin Ihnen sehr dankbar, daß Sie sich darüber Gedanken gemacht haben und auf die Idee gekommen sind. Es ist wahrscheinlich
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