Die Dornenvögel
ziehenden Schafherde über sich hinwegstreichen zu lassen, die Vögel und den Himmel und das Land zu beobachten.
Die Dürre war grauenvoll. Meggie erinnerte sich gut, daß das Gras auf Drogheda noch stets über die Trockenperioden gereicht hatte. Doch diesmal war das anders. Es schien zu immer kleineren Flächen zu schrumpfen, und zwischen den Büscheln sah man den dunklen Boden, durchzogen von einem Netz feiner Risse, aufgesprungenen Lippen ähnlich. Die Kaninchenplage war wirklich fürchterlich. In den vier Jahren von Meggies Abwesenheit hatten sie sich über alles Maß hinaus vermehrt, es gab praktisch keinen Flecken, wo man sie nicht sah: Massen, Unmassen, die das kostbare Gras wegfraßen. Meggie lernte es, Kaninchenfallen aufzustellen, obwohl es ihr zuwider war, erleben zu müssen, wie die reizenden kleinen Tiere von den Stahlzähnen zu Tode gewürgt wurden. Doch sie war zu sehr Landmensch, als daß sie sich vor dem gedrückt hätte, was nun einmal getan werden mußte. Töten, um das Überleben zu sichern, war keine Grausamkeit.
»Gott verdamme den heimwehkranken Einwanderer, der als erster aus England Kaninchen mitbrachte«, sagte Bob erbittert. Ursprünglich hatte es in Australien nämlich keine gegeben. Aber als sie dann - über Tasmanien, wie es hieß - auf den jüngsten Kontinent gekommen waren, dauerte es nicht allzu lange, bis sie das ökologische Gleichgewicht völlig in Unordnung brachten, was weder Rinder noch Schafe getan hatten. Hier sorgte die Zucht mit ihrer strikten Kontrolle für die richtige Balance.
Es gab praktisch nichts, das ihre Vermehrung hinderte oder hemmte. Sie hatten in Australien keine natürlichen Feinde, und die importierten Füchse gediehen hier nicht. Also mußte der Mensch die Rolle der fehlenden natürlichen Feinde übernehmen. Doch es gab zuwenig Menschen und zuviel Kaninchen.
Als es einfach nicht länger anging, daß Meggie bei ihrem Zustand noch auf einem Pferd saß, verbrachte sie ihre Zeit in der Homestead bei Mrs. Smith, Minnie und Cat. Sie nähte und strickte Babysachen für ihn, den sie in sich fühlte. Anders dachte sie nie an dieses Kind, das sie mit Freuden erwartete - es war für sie niemals es, sondern stets er.
Bei dieser Schwangerschaft wurde sie weder von Übelkeit noch von Depressionen heimgesucht, und zweifellos war es die kleine Justine, die zu ihrer Erwartungsfreude in keineswegs unbeträchtlichem Maße beitrug. Die Entwicklung des Mädchens faszinierte Meggie. Das so sonderbare winzige Wesen mit den fahlen Augen hatte begonnen, sich in ein hochintelligentes Kind zu verwandeln, und Meggie war ihrem Töchterchen gegenüber schon längst nicht mehr gleichgültig. Es verlangte sie danach, Justine mit Liebe zu überschütten, sie zu umarmen, zu küssen, mit ihr zu lachen. Es war ein Schock für sie, als sie entdecken mußte, daß sie von dem Kind jedesmal zurückgewiesen wurde, höflich, doch nachdrücklich.
Als Jims und Patsy aus Sydney zurückgekehrt waren, hatte Mrs. Smith die Zwillinge wieder unter ihre Fittiche nehmen wollen, doch zu ihrem Leidwesen hielten sich die beiden meist irgendwo auf den Koppeln auf. So wandte sie sich dann der kleinen Justine zu - und fand sich genauso abgewiesen wie Meggie. Das Mädchen, so schien es, wollte nicht umarmt und geküßt und nicht zum Lachen gebracht werden.
Mit neun Monaten konnte sie bereits gehen und sprechen. Und sobald sie ihrer Beine und ihrer Zunge einigermaßen mächtig war, benutzte sie beides, um - im doppelten Sinne - ihre eigenen Wege zu gehen und ihren Willen durchzusetzen. Nicht, daß sie es, wie so manche Kinder, mit lautem Geschrei oder einem gewaltigen »Bockchen« versucht hätte. Sie war ganz einfach im Kern stahlhart. Meggie wußte nichts über Gene. Hatte sie etwas darüber gewußt, so wäre ihr wohl klargewesen, daß geradezu mit Naturnotwendigkeit eine solche Kombination entstehen mußte, wenn man Cleary-, Armstrong- und O’Neill-Gene in einen Topf warf - eine Kraftbrühe sondergleichen.
Wirklich verstörend war allerdings, daß sie sich so beharrlich, so starrsinnig weigerte, ein Lachen hören zu lassen oder wenigstens ein Lächeln zu zeigen. Jeder auf Drogheda überbot sich geradezu dann, ihr durch irgendwelche Albernheiten zumindest einen Hauch von Heiterkeit zu entlocken - vergeblich. In puncto undurchdringlicher Miene stach sie schon jetzt ihre Großmutter jederzeit aus. Am 1. Oktober, als Justine genau sechzehn Monate alt war, brachte Meggie auf Drogheda ihren Sohn zur Welt. Er kam
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