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Die Dornenvögel

Die Dornenvögel

Titel: Die Dornenvögel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCoullough
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nahezu vier Wochen zu früh, völlig überraschend. Ganz kurz nur spürte Meggie heftige Preßwehen, dann sprang die Fruchtblase, und wenige Minuten nachdem sie den Arzt angerufen hatten, mußten Fee und Mrs Smith auch schon Hebammendienst leisten. Da Meggie keine Zeit blieb, für ihren ungeduldigen Sohn unten weit genug aufzumachen, kam es bei ihr zum Dammriß. Doch die Schmerzen waren nicht sehr schlimm, und das Ganze ging so schnell vorüber, daß es überhaupt nicht geschehen zu sein schien. Meggie mußte genäht werden, doch das änderte überhaupt nichts daran, daß sie sich einfach wunderbar fühlte. Für Justine hatte sie damals keine Milch gehabt, jetzt strömten ihre Brüste davon geradezu über. Und wie schön er doch war. Lang und schlank, mit hellem Haar auf dem perfekt geformten kleinen Schädel, mit lebhaften blauen Augen, bei denen nichts darauf hindeutete, daß sie später zu einer anderen Farbe überwechseln würden. Wie hätten sie auch wechseln können? Es waren ja Ralphs Augen, Ralphs Hände, Ralphs Nase und Ralphs Mund und sogar Ralphs Füße. Welch ein Glück, dachte Meggie, daß für andere Augen, die nur die Äußerlichkeiten wahrnahmen, alles recht plausibel erscheinen mußte Luke, von gleichem oder ähnlichem Typ, war der Vater
    - natürlich, natürlich. Aber so manches war doch ganz und gar Ralph und so ganz und gar nicht Luke. Die Hände zum Beispiel und die Art, wie die Augenbrauen wuchsen, der flaumige Haaransatz in der Mitte der Stirn und die Form der Finger und der Zehen. Aber gut - sehr gut sogar, wenn keinem auffiel, was an welchen Mann erinnerte.
    »Hast du schon einen Namen für ihn?« fragte Fee, die von ihm fasziniert zu sein schien. Meggie betrachtete ihre Mutter, die das Baby in den Armen hielt. Ja, dachte sie, Mum wird wieder lieben, endlich. Oh, vielleicht wird sie ihn nicht so lieben, wie sie Frank geliebt hat, aber sie wird doch wenigstens etwas empfinden. »Ich werde ihn Dane nennen.«
    »Das ist aber ein sonderbarer Name. Warum willst du ihn so nennen. Ist es ein Name, der bei der O’Neill-Familie häufig vorkommt. Ich dachte, du willst von den O’Neills gar nichts mehr wissen.« »Mit Luke hat das überhaupt nichts zu tun. Dane, das ist sein Name, er gehört niemandem sonst. Ich hasse diese Namen, die sich vom Vater oder Großvater auf den Sohn vererben. Jeder sollte seinen eigenen Namen haben. Justine habe ich so genannt, weil mir der Name ganz einfach gefiel, und bei Dane ist das nicht anders.« »Nun, er klingt auch wirklich hübsch«, räumte Fee ein. »Gib ihn mir bitte, Mum. Hoffentlich hat er Hunger. Und hoffentlich denkt der alte Blue daran, die Milchpumpe mitzubringen. Sonst bleibt mir gar nichts anderes übrig, als mit dem Auto nach Gilly zu fahren.«
    Er hatte Hunger. Seine kleinen Lippen schlossen sich so fest um ihre Brustwarze, daß sie es recht deutlich spürte. Als sie ihn so an ihrer Brust sah, die geschlossenen Augen, die dunklen, wie mit Goldstaub betupften Wimpern, die flaumigen Brauen, die winzigen sich emsig bewegenden Wangen - da empfand sie eine Liebe für ihn die so tief und so voll eigentümlichem Schmerz war, daß sie die schmerzenden Brüste darüber vergaß.
    Er ist genug, er muß genug sein. Noch ein Kind werde ich nicht bekommen. Aber bei Gott, Ralph de Bricassart, bei dem Gott, den du mehr liebst als mich, du sollst nie erfahren, was ich dir - und ihm - gestohlen habe. Nichts sollst du wissen über Dane. Oh mein Baby. Sie schüttelte die Kissen auf, um ihn weicher zu legen, um sein wunderschönes kleines Gesicht eingehender betrachten zu können. Mein Baby! Mir gehörst du, und nie werde ich dich einem anderen überlassen. Am allerwenigsten deinem Vater, der ein Priester ist und dich nicht anerkennen kann. Ist das nicht wunderbar?
    Anfang April lief das Schiff in den Hafen von Genua ein. Das Italien, das Erzbischof de Bricassart betrat, war ein Italien, das jetzt geradezu ausbrach in Blütenpracht, Mittelmeerfrühling in seinem vollen Glanz.
    Er fuhr mit dem Zug nach Rom. Auf seinen Wunsch würde man ihn in einem Auto des Vatikans hinchauffiert haben, doch er scheute das Gefühl, sofort wieder umschlossen zu werden vom Schoß der Kirche, er wollte diesen Augenblick so lange hinausschieben, wie irgend möglich. Die Ewige Stadt. Ja, das war sie wirklich, dachte er, als er in einem Taxi durch Rom fuhr und hinausblickte durch die Fenster: die Kuppeln und die Campanilen, die von Tauben übersäten Plätze, die so auffälligen Springbrunnen,

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