Die Dornenvögel
vor diesem Augenblick so sehr gefürchtet hatte. Er konnte doch sicher sein - und war stets sicher gewesen -, daß er Verständnis finden würde und Vergebung.
Doch eben damit hatte es für ihn nun nicht sein Bewenden. Er hatte gefehlt, hatte gegenüber seinen eigenen Ansprüchen an sich selbst versagt, hatte auch versagt gegenüber den Erwartungen, die dieser Mann hier, ein wahrer Freund, an ihn stellen durfte, an ihn stellen mußte. Sein eigenes Schuldgefühl war es, das auf ihm lastete, das Bewußtsein, in der Gesellschaft eines Reinen selbst unrein zu sein.
»Ralph, wir sind Priester, doch davor sind wir etwas anderes, etwas, das wir bereits waren, ehe wir Priester wurden, und dem wir nie entkommen, unserer Sonderstellung zum Trotz. Wir sind Männer, Menschen, mit all den Mängeln und Schwächen, die Menschen nun einmal anhaften. Was immer Sie mir auch sagen mögen, nichts davon kann die Meinung ändern, die ich mir über Sie während unserer gemeinsamen Jahre gebildet habe. Nichts, was Sie mir sagen, kann bewirken, daß ich geringer von Ihnen denke oder Sie weniger mag. Mir war seit Jahren bewußt, daß sich unsere Menschlichkeit, die uns immanente Schwäche, gleichsam aus Ihrem Gesichtskreis verloren hatte. Und so stand zu erwarten, daß Sie eines Tages wohl wieder daraufstoßen würden. Keinem von uns ergeht es anders, nicht einmal dem Heiligen Vater, welcher der
Demütigste und Menschlichste von uns allen ist.«
»Ich habe meine Gelübde gebrochen, Euer Eminenz. Das ist nicht leicht zu vergeben. Denn es ist eine Todsünde.« »Nun, das Gelübde der Armut haben Sie schon vor Jahren gebrochen, als Sie das Legat von Mrs. Mary Carson akzeptierten. Bleiben also noch die Gelübde der Keuschheit und des Gehorsams, nicht wahr?«
»Dann habe ich alle drei gebrochen, Euer Eminenz.« »Ich wünschte, Sie würden mich Vittorio nennen, genau wie früher! Ich bin nicht schockiert, Ralph, oder auch nur enttäuscht. Was auch geschieht, es entspricht dem Willen unseren Herrn Jesus Christus, und vielleicht konnte das, was Sie lernen mußten, nur auf so schmerzhafte Weise gelernt werden. Gott ist und bleibt für uns rätselhaft. Die Gründe für sein Tun entziehen sich unserem armseligen Erkenntnisvermögen. Doch was immer Sie auch getan haben mögen, leichtfertig haben Sie Ihre Gelübde gewiß nicht gebrochen. Schließlich kenne ich Sie sehr gut. Ich weiß, daß Sie stolz sind - ganz besonders stolz auch darauf, Priester zu sein, und sich dieser Sonderstellung vollauf bewußt. Vielleicht haben Sie gerade eine solche Lektion gebraucht, damit der Stolz nicht vollends überhand nahm: damit Sie begriffen, daß Sie zuallererst einmal Mensch sind und deshalb keineswegs eine solche Sonderstellung einnehmen, wie Sie glaubten. Stimmt das nicht?«
»Doch, es stimmt. Es mangelte mir an Demut, und ich glaube, daß ich in gewisser Weise danach strebte, Gott selbst zu sein. Ich habe gesündigt, schwer gesündigt. Ich kann mir selbst nicht vergeben. Wie also könnte ich göttliche Vergebung erhoffen?«
»Der Stolz, Ralph, der Hochmut! Begreifen Sie noch immer nicht, daß es Ihnen gar nicht zukommt, zu vergeben? Vergeben kann einzig Gott. Einzig Gott! Und er wird vergeben, wenn er aufrichtige Reue findet. Er hat weit größere Sünden vergeben - bei weit größeren Heiligen ebenso wie bei weit größeren
Schurken. Glauben Sie denn, Luzifer ist nicht vergeben worden? Ihm ward vergeben im Augenblick seiner Auflehnung. Sein Schicksal als Herrscher der Hölle verdankt er niemandem als sich selbst. Er sagt es doch! >Lieber in der Hölle herrschen, als im Himmel dienen! < Denn er konnte seinen Stolz, seinen Hochmut nicht bezwingen. Er konnte es nicht ertragen, seinen Willen dem Willen eines anderen unterzuordnen, obwohl dieser andere doch Gott der Herr war. Ich möchte nicht, daß Sie den gleichen Fehler begehen, liebster Freund. Demut, das war in der Tal jene Eigenschaft, an der es Ihnen mangelte. Und es handelt sich gerade um die Eigenschaft, die einen großen Heiligen ausmacht oder einen großen Mann. Ehe Sie nicht imstande sind, die Sache der Vergebung ganz Gott dem Herrn zu überlassen, können Sie auch die wahre Demut nicht erreichen.«
In dem starken Gesicht zuckte es. »Ja, ich weiß, daß Sie recht haben. Ohne Frage muß ich akzeptieren, was ich bin. Muß danach streben, mich zu bessern, ohne je Stolz zu empfinden. Ich bereue, und deshalb werde ich beichten und der Vergebung harren. Ja, ich bereue, bereue zutiefst.« Er seufzte.
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