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Die Dornenvögel

Die Dornenvögel

Titel: Die Dornenvögel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCoullough
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konnten.
    Meggie verbarg ihre Gedanken hinter einer Maske aus Höflichkeit. Immer wieder grübelte sie über das nach, was Rain zu ihr gesagt hatte. Nach seinen Worten konnte sie zwischen zwei Möglichkeiten wählen. Wie aber sollte sie sich entscheiden?
    Sonderbar, wie sehr das Gespräch mit ihm die Lage veränderte. Sie hatte schon lange keine Hoffnung mehr gehegt, daß Justine je zurückkehren werde. Rainer Hartheim jedoch versicherte ihr, das sei durchaus möglich, vielleicht sogar wahrscheinlich. Auch könne Justine hier durchaus glücklich werden.
    Sie war ihm dankbar dafür. Und dankbar war sie auch, weil er ihr diese würgende Furcht genommen hatte: daß Justine womöglich im Bilde gewesen sei über die wahre Beziehung zwischen Ralph und Dane.
    Blieb die andere Seite, seine Bitte an sie, alles zu tun, damit Justine sich für ihn entschied. Sie mochte ihn zwar von Tag zu Tag mehr, in seiner ganzen Art, aber wichtiger als sein Glück war für sie natürlich das Glück ihrer Tochter und der Menschen auf Drogheda. Er hatte ihr zwar versichert, daß Justine ihn liebe, aber wann hatte sich je gezeigt, daß er für sie die gleiche Bedeutung besaß, wie Ralph sie einmal für Meggie besessen hatte?
    »Ich nehme an, daß Sie Justine früher oder später sehen werden«, sagte Meggie zu ihm, als sie ihn zum Flugplatz fuhr. »Es wäre mir lieber, wenn Sie Ihren Besuch auf Drogheda
    dann nicht erwähnen würden.«
    »Wie Sie meinen«, erwiderte er. »Aber vergessen Sie bitte nicht, über das nachzudenken, was ich zu Ihnen gesagt habe.« Doch noch während er sprach, hatte er das Gefühl, daß sein Besuch Meggie weit mehr genützt hatte als ihm selbst.
    Mitte April, zweieinhalb Jahre nach Danes Tod, fuhr Justine mit der Untergrundbahn hinaus nach Kew Gardens. Sie mußte ganz einfach einmal fort aus dem Häusermeer und dem Menschengewimmel. Da es ein Dienstag war, würde sie in Kew Gardens kaum jemandem begegnen. Außerdem hatte sie einen freien Abend, konnte sich ihre Zeit und ihre Kräfte also so einteilen, wie sie wollte.
    Sie kannte den botanischen Garten natürlich gut. London besaß viele Parks, viele schöne Anlagen, doch Kew Gardens stellte etwas Besonderes dar, und früher war Justine sehr häufig dort gewesen: vom April bis zum Oktober, denn von Monat zu Monat wechselte die Pracht der Bäume und Blumen.
    Die Aprilmitte war die schönste Zeit, die Zeit der Narzissen, der Azaleen und blühenden Bäume, und sie kannte eine ganz bestimmte Stelle, von der sie meinte, daß sie auf der Welt kaum ihresgleichen hatte. Endlich war sie dort, setzte sich auf den Boden und genoß das Bild, trank es tief in sich ein. Nichts schien es jetzt zu geben als das Gelb der Narzissen mit einem Mandelbaum in der Mitte, dessen Äste und Zweige, von weißen Blüten schwer, tief herabhingen. Wie eine wunderschöne japanische Tuschzeichnung sah das Ganze aus, so voller Frieden. Während sie noch dabei war, jede Einzelheit mit aller Intensität in sich aufzunehmen, drang plötzlich etwas Fremdes ein in dieses friedvolle Bild. Ein Mann. Und zu ihrer Überraschung erkannte sie, daß es nicht irgendein Mann war.
    Langsam trat er auf sie zu. »Du wirst dir die Nieren verkühlen«, sagte er.
    Er zog seinen Ledermantel aus und legte ihn auf den Boden,
    so daß sie sich beide daraufsetzen konnten.
    »Wie hast du mich hier gefunden?« fragte sie.
    »Mrs. Kelly sagte mir, daß du nach Kew gefahren warst. Alles Weitere ergab sich dann mehr oder minder von selbst.«
    »Und jetzt meinst du wohl, daß ich vor Freude reinweg aus dem Häuschen bin, ja?«
    »Bist du’s?«
    »Immer noch der alte Rain, der Frage mit Frage beantwortet, wie? Nein, ich freue mich nicht, dich zu sehen. Ich hatte gedacht, es wäre mir gelungen, dich endgültig aufs Abstellgleis zu schieben.«
    »Ein Mann, der was taugt, läßt sich nicht so leicht endgültig aufs Abstellgleis schieben. Wie geht es dir?«
    »Gut soweit.«
    »Bist du damit fertig, dir die Wunden zu lecken?«
    »Nein.«
    »Nun, das war wohl zu erwarten. Was mich betrifft, so begann ich zu begreifen, daß du zu stolz bist, die Hand zur Versöhnung auszustrecken, nachdem du mir den Laufpaß gegeben hattest. Ich hingegen, Herzchen, bin klug genug, um zu wissen, daß der Stolz ein sehr einsamer Bettgenosse ist.«
    »Rain«, sagte sie, »bilde dir nicht ein, wieder deinen alten Platz bei mir einnehmen zu können. Ich will das nicht mehr.«
    »Ich will das auch nicht mehr.«
    Seine prompte Antwort irritierte sie, doch sie

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