Die Dornenvögel
heimkehren. Zumindest muß man mit dieser Möglichkeit rechnen. Während es sie, wenn man sie jetzt ihrer Hilflosigkeit überläßt, irgendwann nach Drogheda ziehen mag.«
Wieder legte er eine Pause ein, machte einen tiefen Zug. »Auf die Dauer ist die Bühne für eine Frau wie Justine nicht genug«, fuhr er fort. »Eines Tages wird sie das erkennen. Und wichtiger als die Bretter, die die Welt bedeuten, werden ihr dann Menschen sein - entweder ihre Familie hier auf Drogheda oder aber ich.« Er lächelte sie an, und aus seinem Lächeln sprach ein tiefes Verstehen. »Aber auch Menschen sind für Justine nicht genug, Mrs. O’Neill. Wenn sie sich für mich entscheidet, so kann sie auch die Bühne haben, und das ist etwas, was Drogheda ihr nicht zu bieten hat.« In seinen Augen zeigte sich plötzlich eine unverkennbare Härte, fast so etwas wie Feindseligkeit. »Dies ist meine Bitte an Sie, Mrs. O’Neill. Tun Sie, was in Ihren Kräften steht, damit sie sich für mich entscheidet. Denn ich brauche sie mehr, als Sie sie je brauchen könnten, auch wenn das in Ihren Ohren grausam klingen mag.«
Unwillkürlich richtete Meggie sich ein Stück höher. Einen Augenblick wirkte sie sehr steif. »Sie sprechen von Drogheda, als ob Justines Leben hier zu Ende wäre. Aber Sie irren sich. Auch wenn sie zu uns zurückkommt, braucht sie die Bühne nicht aufzugeben. Nicht einmal, falls sie Boy King heiratet, wie sein Großvater und ich seit Jahren hoffen. Und für die Zeit, in der sie fort ist, werden ihre Kinder hier immer gut behütet sein, ebenso gut, als wenn sie mit Ihnen verheiratet wäre. Nur, dies hier ist ihr Zuhause! Dieses Leben kennt und versteht sie. Sie wüßte genau, was sie erwartet. Können Sie das auch von dem Leben behaupten, das Sie ihr zu bieten haben?« »Nein«, erwiderte er unbeeindruckt. »Aber Justine braucht das Überraschende, das Unerwartete. Sie braucht immer wieder neue, belebende Reize. Hier auf Drogheda würde sie stagnieren.« »Wollen Sie damit sagen, daß sie hier unglücklich wäre?« »Nein, nicht unbedingt. Wenn sie zurückkäme und diesen Boy King heiratete - wer ist das eigentlich, dieser Boy
King?« »Der Erbe von Bugela, einer benachbarten Station, und ein alter Jugendfreund, der gern mehr wäre als nur ein Freund. Sein Großvater ist aus dynastischen Gründen für die Heirat, und ich bin dafür, weil ich meine, diese Ehe wäre für Justine genau das Richtige.« »Verstehe. Nun, wenn sie zurückkäme und diesen Boy King heiratete, so würde sie womöglich durchaus glücklich werden. Wahrscheinlich sogar. Nur ist so etwas ja sehr relativ, Mrs. O’Neill, und damit meine ich, daß sie nicht die Erfüllung finden würde wie bei mir. Denn Justine liebt ja mich und nicht Boy King.« »Dann hat sie aber eine höchst merkwürdige Art, das zu zeigen«, sagte Meggie, während sie nach dem Tee läutete. »Außerdem, Mr. Hartheim, kann ich nur wiederholen, daß Sie meinen Einfluß auf Justine überschätzen. Sie hat sich noch nie nach meinen Ratschlägen - oder gar Wünschen - gerichtet.«
»Mrs. O’Neill«, versicherte er, »wenn Sie es wirklich wollen, tut sie es, ich glaube, das wissen Sie selbst. Ich meinerseits bin jedenfalls fest davon überzeugt, und ich möchte Sie bitten, sich alles, was ich gesagt habe, durch den Kopf gehen zu lassen. Nehmen Sie sich dafür Zeit. Ich bin ein geduldiger Mann.« Meggie lächelte. »Dann sind Sie eine Ausnahme.« Er kam nicht mehr auf das Thema zurück, und auch Meggie sprach nicht mehr davon. Eine Woche blieb er auf Drogheda, ein vor allem von ihren Brüdern gern gesehener Gast. Als die Cleary-Männer von seiner Ankunft erfuhren, kamen sie von den fernen Koppeln zur Homestead und ritten erst wieder weit hinaus, nachdem er nach Deutschland abgereist war.
Auch Fee mochte ihn. Wegen ihrer schwachen Augen konnte sie die Bücher nicht mehr führen, doch von Senilität zeigte sich bei ihr noch nicht die geringste Spur. Im vergangenen Winter war Mrs. Smith gestorben, und statt eine neue Haushälterin zu engagieren, was sie Minnie und Cat, beide alt, doch rüstig, nicht zumuten mochte, übernahm sie diese Funktion praktisch selbst, nachdem sie Meggie die Bücher anvertraut hatte.
Fee war es auch, die Rainer bat, von Dane zu erzählen, von dem Leben, das er im fernen Rom geführt hatte und von dem man hier auf Drogheda so wenig wußte. Gern kam er ihrer Bitte nach, denn unverkennbar waren alle begierig, über ihren Dane zu erfahren, was sie von ihm irgend erfahren
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