Die Dornenvögel
Autos, dann Klopfen an der Vordertür. Stimmen, deutlich erkennbar die Stimme ihrer Mutter, gleich darauf Schritte.
»Meggie«, sagte Fee vom Verandaeingang her, »wir haben einen Gast. Würdest du bitte hereinkommen?«
Es war ein Fremder, ein recht distinguiert wirkender Mann Mitte oder Ende vierzig, vielleicht auch jünger, das ließ sich schwer sagen. Sie konnte sich nicht erinnern, je einen Menschen wie ihn gesehen zu haben. Aber er besaß die gleiche Ausstrahlung von Kraft und Selbstbewußtsein, wie Ralph sie besessen hatte. »Meggie, dies ist Mr. Rainer Hartheim«, sagte Fee. »Oh!« Überrascht starrte Meggie den Mann an, den sie aus Justines früheren Briefen so gut als »Rain« kannte. Sie besann sich. »Nehmen Sie doch Platz, Mr. Hartheim.«
Auch er schien überrascht. »Zwischen Ihnen und Justine besteht überhaupt keine Ähnlichkeit«, sagte er verwirrt. »Nein, wohl nicht.« Sie nahm ihm gegenüber Platz. »Ich lasse dich mit Mr. Hartheim allein, Meggie«, erklärte Fee. »Er möchte dich nämlich unter vier Augen sprechen. Wenn du Tee haben möchtest, klingle bitte.« Sie ging hinaus.
»Sie sind natürlich Justines deutscher Freund«, sagte Meggie, die nicht recht wußte, wie sie beginnen sollte. Er zog sein Zigarettenetui hervor. »Darf ich?« »Bitte, ja.«
»Und darf ich Ihnen eine anbieten, Mrs. O’Neill?« »Danke, nein, ich rauche nicht.« Sie strich ihr Kleid glatt. »Sie sind hier weit weg von Ihrer Heimat, Mr. Hartheim. Haben Sie in Australien geschäftlich zu tun?«
Er lächelte. Was würde sie wohl sagen, wenn sie wüßte, daß er praktisch Herr über Drogheda war? Nun, er zog es vor, die Menschen hier in dem Glauben zu lassen, für Droghedas Angelegenheiten sei ganz und gar jener Gentleman zuständig, der für ihn als eine Art Mittelsmann fungierte.
»Bitte, Mrs. O’Neill, ich heiße Rainer«, sagte er und sprach seinen Vornamen so aus, wie Justine das immer getan hatte. Würde sie ihn so anreden? Vorläufig gewiß nicht. Meggie O’Neill war kaum die Frau, sich mit einem Fremden so rasch auf vertrauten Fuß zu stellen. »Nein, mich führen keine offiziellen Geschäfte nach Australien. Doch für mein Kommen gibt es einen guten Grund. Ich wollte zu Ihnen.«
»Zu mir?« fragte sie überrascht. Wie um ihre plötzliche Verwirrung zu tarnen, wechselte sie das Thema. »Meine Brüder sprechen oft von Ihnen. Sie haben sich liebenswürdigerweise sehr um sie gekümmert, als sie damals zu Danes Priesterweihe in Rom waren.« Sie nannte Danes Namen ohne jede Erregung. Offenbar sprach sie häufiger von ihm. »Hoffentlich können Sie ein paar Tage bleiben, damit Sie Gelegenheit haben, sie wiederzusehen.«
Seine Antwort klang ruhig und selbstverständlich. »Ja, das kann ich, Mrs. O’Neill«, sagte er.
Unversehens nahm das Gespräch für Meggie eine Wendung, die sie in eine mißliche Lage brachte. Er, der Fremde, hatte erklärt, die so überaus weite Reise gemacht zu haben, um sie aufzusuchen. Aber er schien keineswegs in Eile, sie über den Grund aufzuklären. Eigentlich hätte er ihr jetzt in seiner Art zuwider sein müssen. Doch einem Mann wie ihm war sie sicher noch nie begegnet, und sie fühlte sich nur zunehmend verwirrt und auch leicht eingeschüchtert. Flüchtig ging ihr ein Gedanke durch den Kopf: daß Justine sich in Gesellschaft von Männern wie Rainer Moerling-Hartheim offenbar völlig frei und ungezwungen fühlte. Plötzlich gewann ihre Tochter in ihren Augen ein ganz anderes Format als zuvor - eine Frau,
eine richtige Frau, kein Kind mehr.
Ihr Gast betrachtete sie aufmerksam. Trotz ihres Alters - ihr Haar war inzwischen weiß - wirkte sie noch immer sehr schön. Und er war noch immer überrascht, daß sie mit Justine so gar keine Ähnlichkeit hatte, während Dane dem Kardinal doch wie aus dem Gesicht geschnitten gewesen war. Wie furchtbar einsam mußte sie sein. Dennoch tat sie ihm nicht in der gleichen Weise leid, in der ihm Justine leid tat. Meggie O’Neill schien mit sich selbst ins reine gekommen zu sein. »Wie geht es Justine?« fragte sie.
Er hob die Schultern. »Ich fürchte, das weiß ich nicht. Es ist lange her, seit ich sie das letzte Mal gesehen habe. Das war vor Danes Tod.«
Von Überraschung war ihr nichts anzumerken. »Auch ich habe sie schon lange nicht mehr gesehen, seit Danes Beerdigung nicht.« Sie seufzte. »Ich hatte immer gehofft, sie würde heimkehren nach Drogheda, aber es sieht eher so aus, als ob sie niemals kommen wird.«
Er machte eine
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