Die Drachen Der Tinkerfarm
ganzer Haufen irgendwo liegen, der nicht von Mäusen gefressen ist.« Tyler gab ihr das Notizbuch zurück. »Versteck’s wieder. Wenn’s noch mehr davon gibt, werde ich sie finden. Wenn uns irgendjemand sagen kann, was auf dieser Farm abgeht, dann der Typ, der sie gebaut hat.«
Etwas schlug ans Fenster.
Tyler und Lucinda fuhren zusammen. Erschrocken schob Lucinda das Tagebuch unter ihr Kissen.
Tyler trat ans Fenster. »Ich wusste, dass ich recht hatte«, sagte er. »Ich wusste es! Schau mal raus, Luce.«
Lucinda stand auf und sah aus dem Fenster. Der verblühte Kirschbaum, dessen Blätter sich rotbraun färbten, nahm einen Großteil des Blickfelds ein.
»Was siehst du?«, fragte er.
»Nur das Übliche.«
»Okay. Bleib eine Weile da stehen und guck hinaus.« Tyler stürmte aus dem Zimmer und die Treppe hinunter.
Lucinda schüttelte den Kopf. Was gab es jetzt? Schon wieder Geister? Baumgeister? Am hellen Nachmittag?
Gleich darauf tauchte Tyler auf der verwucherten dürren Wiese unter dem Fenster auf. Er blieb kurz stehen, dann ging er in die Richtung der Bibliothek, ohne sich umzuschauen. Lucinda wollte schon an die Scheibe klopfen, um auf sich aufmerksam zu machen, aber da hüpfte etwas Dunkles auf einen Ast hoch über Tylers Kopf. Es blieb kurz dort sitzen, dick wie eine Kröte und genauso reglos, dann sprang es behende auf den nächsten Baum.
Es folgte ihm.
Tyler drehte sich urplötzlich um und ging zur Küche und zum Esszimmer zurück. Das Schwarzhörnchen wechselte augenblicklich die Richtung und folgte ihm. Eine jähe Paniküberkam Lucinda, obwohl ihr das absurd vorkam – was konnte ein Hörnchen, selbst ein großes, einem Jungen von Tylers Größe schon tun? Trotzdem. Sie musste das Fenster hochschieben und ihn warnen.
»Tyler!«
Er drehte sich nicht um, aber das Schwarzhörnchen tat es und fixierte sie mit seinen unangenehmen gelben Augen. Einen Moment lang war sie sich sicher, dass das Tier sie eingehend betrachtete, wie um sie sich für die Zukunft zu merken. Sie schluckte und knallte das Fenster wieder zu. Ihr Bruder und sein hopsender Verfolger entschwanden ihren Blicken.
Wenig später trat Tyler wieder ins Zimmer. »Hast du gesehen?«
»Schon wieder dieses gruselige Schwarzhörnchen … und es hat dich verfolgt!«
»Na klar. Das macht es schon seit Tagen. Überall, wo ich hingehe, es sei denn, ich bin mit den Leuten von der Farm unterwegs. Selbst dann bilde ich mir manchmal ein, es auf einem Baum zu sehen, wo es sich versteckt und mich beobachtet. Und es hält Zaza von mir fern. Ich sehe sie kaum noch.«
»Was soll das? Warum macht es das?« Ihr fröstelte plötzlich, als ob sie Fieber hätte. Diese Augen!
»Keine Ahnung. Es fing an, nachdem ich in der Bibliothek war. Ich glaube, Mrs. … ich glaube, jemand benutzt es, um mich im Auge zu behalten.«
»Du wolltest ›Mrs. Needle‹ sagen.«
»Na ja, sie ist mir unheimlich. Ich glaube, sie ist eine Hexe oder so was.«
»Tyler Jenkins! Bist du noch ganz dicht? Eine Hexe? Das hier ist keins von deinen Videospielen.«
»Und es ist auch keine von deinen Fernsehschnulzen, wo alle gute Freunde sind und artig ihre Lektion lernen und sichdann ganz doll liebhaben. Hier laufen irgendwelche finsteren Sachen, und damit meine ich nicht nur Drachen … und Ringschlangen.«
Lucinda setzte sich aufs Bett. Sie war zu müde zum Streiten. Sie wollte nichts gegen Mrs. Needle haben. Sie musste nicht unbedingt alle liebhaben, aber sie brauchte Freunde. Nur mit ihrem Bruder als Freund fühlte sie sich einsam. Sie war das nicht gewohnt.
»Hör zu, du musst mir einen Gefallen tun«, sagte er. »Ich möchte, dass du in diese Bibliothek gehst und schaust, ob du noch mehr von Octavios Aufzeichnungen findest. Wenn ich gehe, habe ich dieses Vieh auf den Fersen, und irgendjemand wird dann Bescheid wissen.«
In die Bibliothek? Wo Tyler angeblich ein Gespenst gesehen hatte? Dahin wollte sie ganz gewiss nicht gehen. »Woher weißt du, dass es mir nicht genauso folgt?«
»Weil ich Geheimagent Hörnchen auf einen kleinen Spaziergang locken werde.«
Lucinda hatte eigentlich gar nicht ja gesagt, aber auch nicht deutlich genug nein, um ihn davon abzubringen. Sie sah von ihrem Fenster aus zu, wie Tyler unten vorbeischlich und sich dabei umguckte wie ein kleiner Junge, der Spion spielt – wohl um das Hörnchen glauben zu machen, dass er etwas Heimliches und Wichtiges vorhatte, vermutete sie. Sie war zu nervös, um sich darüber zu mokieren – und vielleicht,
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