Die Drachen von Montesecco
welche Weise du dein Vermögen gemacht hast.«
»Aber er würde es gerne wissen«, sagte Benito.
»Du entschuldigst mich einen Moment, Benito?« fragte Curzio. Er kramte nach seinem Siemens-Handy.
»Aber bitte!« sagte Benito. So höflich und gesprächig hatte ihn Curzio selten erlebt. Vielleicht tat es Benito mal ganz gut, in einem Sarg herumzuliegen. Vielleicht war der Tod gar nicht so schrecklich, wie man ihn sich vorstellte. Zumindest wenn man jemanden hatte, mit dem man sich unterhalten konnte. Aus dem Speicher wählte Curzio die Nummer des Brokers Silvio Forattini in Mailand.
»Herr Curzio«, sagte Forattini, »und wenn Sie mich noch zehnmal anrufen, Sie werden von mir nichts über meine Kunden erfahren, seien sie nun tot oder lebendig.«
»Das ist auch gut so. Ich würde nämlich gern Ihre Dienste in Anspruch nehmen.«
»So?« Forattini klang mehr als skeptisch.
»Ich habe eine kleine Summe zur Verfügung, die …«
»Kaufen Sie Festverzinsliches«, sagte Forattini. »Das ist eine sichere Sache.«
»Ich bin achtzig Jahre alt. Nach mir die Sintflut«, sagte Curzio.
»Sie wollen auf Risiko gehen?« Der Makler schien ein wenig warm zu werden.
»Wenn ich zum Beispiel aus vierzigtausend Euro schnell das Doppelte machen wollte, was würden Sie mir raten?« fragte Curzio.
Forattini schien zu überlegen. Natürlich würde er Curzio nicht seinen besten Anlagetip auf die Nase binden. Wieso sollte er auch, wenn er Curzio gar nicht kannte undkeinerlei Vereinbarung bestand, die das auch für ihn profitabel machte? Doch irgend etwas hielt Forattini davon ab, Curzio einen sorgenfreien Lebensabend zu wünschen und einfach aufzulegen. Er sagte: »Fiat-Aktien! Es spricht einiges dafür, daß die Agnellis unrentable Beteiligungen abstoßen und sich aufs Kerngeschäft konzentrieren. Wenn die Verkaufserlöse in die Mirafioriwerke investiert werden, bedeutet das Innovation, Automatisierung, höhere Produktivität. Man könnte Personal abbauen und die Kosten weiter senken. So wie die Gewerkschaften sich gerade präsentieren, ist kein größerer Widerstand zu erwarten, und wenn die Entwicklungsabteilung nur ein, zwei erfolgversprechende Modelle herausbringt, werden die Kurse fliegen.«
»Hm«, sagte Curzio. »Haben Sie nicht etwas anderes?«
»Wieso?« fragte Forattini.
Curzio hatte keine Ahnung von Wirtschaft. Er wußte aber, daß Forattini ihm den Tip nur gegeben hatte, weil etwas daran faul war. Er sagte: »Wenn Spinnen in die Häuser kriechen, sie einen kalten Winter riechen.«
»Was soll das heißen?« Forattinis Frage klang nicht verständnislos, sondern gespannt.
»Daß mir die Konzentration aufs Kerngeschäft suspekt ist«, sagte Curzio.
»Aber«, sagte Forattini, »eine andere Bauernregel besagt: Hält der Baum die Blätter lang, macht ein später Winter bang.«
»Und?«
»Das heißt doch wohl, daß man welke Geschäftszweige rechtzeitig abstoßen muß.«
Curzio lachte. Er sagte: »Eine Gans, die Weihnachten überlebt, taugt nichts.«
Forattini fragte: »Sie meinen, daß man Fiat-Aktien jetzt verkaufen sollte? Daß die Gans nicht mehr fetter wird?«
»Unbedingt!« sagte Curzio.
»Und wenn Sie kaufen wollten?« fragte Forattini. »Wo würden Sie jetzt investieren?«
»Halten die Krähen Konzilium, sieh nach Feuerholz dich um!« sagte Curzio.
»Energiebranche?« fragte Forattini zögernd.
»Eigentlich sollten Sie mir die Anlagetips geben, nicht umgekehrt«, sagte Curzio.
Forattini stöhnte ins Telefon. Er sagte: »Ich habe mir Hunderte von Bauernregeln aus dem Internet gezogen, ich habe mir Bücher gekauft, ich habe alles von vorn bis hinten durchstudiert, aber wenn es konkret wird, komme ich einfach nicht klar. Nehmen wir irgendeine von zwei Milchbärten gegründete New-Economy-Firma, um die alle ein Riesengeschrei machen: angeblich die ultimative Geschäftsidee, angeblich unbegrenzte Wachstumschancen, und die Notierung verdoppelt sich alle zwei Wochen, bis irgendwann alles zusammenkrachen wird. Nur wann? Passiert es erst in sechs Monaten, kann ich Millionen herausholen, wenn ich heute investiere. Passiert es morgen, brauche ich kein Zündholz mehr, um mein investiertes Geld zu verbrennen. Ich sehe mir die Bauernregeln an und lese: ›Sind der Maikäfer und Raupen viel, steht eine reiche Ernte am Ziel.‹ Wunderbar, denke ich, also investieren! Dann lese ich in der nächsten Zeile: ›Sind die Maulwurfshügel hoch im Garten, ist ein strenger Winter zu erwarten.‹ Also Finger weg von der Anlage,
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