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Die Drachen von Montesecco

Die Drachen von Montesecco

Titel: Die Drachen von Montesecco Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Jaumann
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Kopf, als wolle sie das nicht glauben. Daß ihr Sohn nicht mit Gewalt festgehalten wurde, schien sie kein bißchen zu erleichtern. Ganz im Gegenteil. Mit tonloser Stimme fragte sie: »Warum ist er dann nicht nach Hause gekommen?«
    Weil er seine Mutter genausowenig sehen wollte wie alle anderen? Weil ihn irgend etwas so verstört hatte, daß er nur allein sein wollte? Weil er beschlossen hatte, nie mehr in sein altes Leben zurückzukehren? Weil ihn das Leben überhaupt anödete? Auf Catias Frage gab es keine Antwort. Zumindest keine, die Catia gerne gehört hätte.
    »Und wo ist er jetzt?« fragte Catia. »Wo ist mein Junge jetzt?«
    Eins wußte Gianmaria Curzio genau: So würde er sich von diesem Forattini nicht abspeisen lassen! Sein erster Gedanke war, die Wildschweinbüchse einzupacken, den Zug nach Mailand zu nehmen und dem aufgeblasenen Börsenmakler ein paar Bleikugeln anzudrohen, falls er nicht über Benito Sgreccias angebliche Spekulationen Auskunft geben sollte. Ich bin achtzig Jahre alt, würde Curzio sagen, lange werde ich sowieso nicht im Knast sitzen, da mögen sie mich noch so sehr zu lebenslänglich verurteilen. Dann würde er das Gewehr spannen und sagen: Ich habe genug erlebt in meinem Leben, und bei Ihnen, lieber Forattini, wird es auch nur noch einen einzigen Knaller geben, wenn Sie nicht auf der Stelle auspacken.
    Curzio zweifelte nicht, daß dies überzeugend gewirkt hätte, konnte es aber nicht in der Praxis ausprobieren. Zuerst weigerte sich seine Tochter beharrlich, ihn zum Bahnhof nach Senigallia oder zumindest zum Bus ins Tal zu fahren. Er solle sich den Unsinn aus dem Kopf schlagen, war ihr einziger Kommentar zu seinem Vorhaben, in Mailand das Motiv für Benitos plötzlichen Tod aufzuklären. Als Curzio die acht Kilometer nach San Lorenzo zu Fuß angehen wollte, stellte er fest, daß sein Gepäck und das Gewehr ziemlich schwer waren. Schon vom Hinschauen taten ihm die Bandscheiben weh. So war er nicht unglücklich, als Franco Marcantoni mitteilte, daß die Comitati di base der Lokführer sowieso für achtundvierzig Stunden streikten. Curzio verschob die Mailandreise auf unbestimmte Zeit und schlurfte statt dessen zum Friedhof hinab.
    Das mußte auch anders gehen. Wenn Benito fünfeinhalb Millionen gemacht hatte, ohne einen Fuß aus Montesecco zu setzen, dann brauchte Curzio auch nicht in der Welt umherzufahren, um herauszubekommen, wie das möglich gewesen war. Nachdem er den Rest der welken Kränze entsorgt hatte, kratzte er sich am Kopf und fragte die Marmorplatte in der Friedhofsmauer: »Oder?«
    »Genau«, pfiff ihm der Wind zu. Die Zypressen neigten zustimmend den Kopf.
    »Soll ich den Börsenmakler noch einmal anrufen?« fragte Curzio.
    »Erst denken, dann handeln«, sagte der Wind mit einer Stimme, die Curzio ziemlich vertraut vorkam. Er sah sich um. Die Kieswege längs der Mauer waren geharkt. Auf den Flächen für die Erdbestattungen wuchs Gras um die windschiefen Kreuze. Vor dem Familiengrab der Rapanottis hing eine Kette, die mit einem Vorhängeschloß gesichert war. Kein Mensch war zu sehen.
    »Benito?« fragte Curzio.
    »Du mußt Forattini etwas bieten«, sagte Benitos Stimme. Sie klang nicht so dumpf, wie sie durch einen Eichenholzdeckel und eine Marmorplatte hätte klingen müssen. Sie klang genau so, wie Curzio sie von früher in Erinnerung hatte, als sie oft genug nebeneinander auf der Bank saßen und Curzio redete und redete und Benito schwieg und schwieg, bis er irgendwann einmal den Kopf wiegte und einen halben Satz herausknarrte, der es in sich hatte. Curzio war froh, daß sein alter Kumpel ihn nicht im Stich ließ, nur weil er tot und begraben war. Aber ehrlich gesagt, war Curzio auch nicht besonders überrascht. Freund blieb Freund. Wieso sollte man sich plötzlich nicht mehr verständigen können? Nach achtzig gemeinsamen Jahren? Nur weil jetzt eine zwei Zentimeter dicke Marmorplatte zwischen ihnen lag?
    »Was kann ich Forattini denn bieten?« fragte Curzio.
    »Ein Geschäft«, sagte eine Stimme, die ganz eindeutig Benito gehörte.
    Curzio nickte. Ein Börsenmakler gab dir nichts umsonst, nicht einmal ein paar lumpige Informationen. Der wollte etwas dafür.
    »Geld?« fragte Curzio.
    »Das hast du nicht«, sagte Benito.
    »Was sonst?«
    »Überleg mal!«
    »Das einzige, was so einen außer Geld interessiert, ist, wie er an noch mehr Geld kommen kann«, sagte Curzio.
    »Genau«, sagte Benito.
    »Informationen!« sagte Curzio. »Der Mann weiß ebensowenig wie ich, auf

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