Die Drachenflotte (German Edition)
zu, wie er sich an seinem Telefon meldete und einen Moment lauschte. Dann hielt er es ihr hin. «C’est pour vous» , sagte er.
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Kapitel 34
I
K nox hatte zu viel zu tun, um den Vormittag im Keller des Bootshauses zu verbringen. Aber er fühlte sich immer noch wie vor den Kopf geschlagen, als er die Treppe hinaufstieg, die Stahltür absperrte und wieder hinter der Fassade aus Gips verschwinden ließ.
Er versuchte, seine Gedanken zu ordnen. Er war alles andere als ein Experte auf dem Gebiet der Chimú-Keramik. Ganz sicher konnte er über ein so kleines und noch dazu ziemlich stark beschädigtes Bruchstück keine definitive Aussage machen. Und selbst wenn es Chimú war, hieß das noch lange nicht, dass es von demselben Wrack stammte wie die chinesischen Keramiken. Theoretisch konnte es auch von irgendeinem anderen Wrack kommen, vielleicht war es sogar von einen Sammler hierhergebracht und verloren worden.
Doch die Wahrscheinlichkeit, dass es …
Knox war im Rahmen seiner Arbeit als Ägyptologe gelegentlich auf die Kultur der Chimú gestoßen. Die frühen Chimú, besser bekannt als die Moche, waren auch Pyramidenbauer gewesen, deshalb war er ein-, zweimal nach der Möglichkeit eines kulturellen Austauschs gefragt worden. Bei diesen Gelegenheiten hatte er höflich gelächelt und darauf hingewiesen, dass die frühen Chimú ihre Pyramiden mehr als tausend Jahre nach den Ägyptern errichtet hatten. Vor allem aber hatten sie in Peru gelebt.
Sich vorzustellen, dass ein chinesisches Schiff vom Kap aus nach Westen bis in Sichtweite von Südamerika gesegelt und dann umgekehrt war, war eine Sache. Eine ganz andere war es anzunehmen, es wäre die Ostküste entlang nach Süden gesegelt und hätte dann – hundert Jahre vor Magellan – durch die Magellan-Straße den Pazifik erreicht. Doch genau das implizierte dieses Fragment.
Die Chimú der schwarzen Keramik hatten viel später gelebt als ihre pyramidenbauenden Vorläufer. Zum ersten Mal waren sie im frühen 10. Jahrhundert in Erscheinung getreten, aber erst im 14. Jahrhundert hatten sie sich als größere regionale Macht durchgesetzt. Sie hatten den Mond und die Sonne verehrt und ihre eigenen Kinder als Opfer dargebracht. Als Francisco Pizarro und die Spanier auf ihrer Entdeckungsreise nach Peru von Panama nach Süden gesegelt waren, hatten sie vor der Hafenstadt Tumbes das erste Mal Anker geworfen. Und obwohl da das Volk der Chimú schon im Inkareich aufgegangen war, war Tumbes an sich noch eine Chimú-Stadt gewesen.
Ein Kollege Pizarros mit Namen Pedro de Cieza de León hatte einen lebendigen Bericht von dieser ersten Begegnung geliefert. Knox hatte ihn immer auffallend gefunden. Dutzende Männer waren auf Balsaholzflößen zu Pizarros Schiff hinausgepaddelt und hatten frische Früchte, Fisch und Lamafleisch zum Tausch mitgebracht. An Bord hatten sie mit aufgeregten Schreien das Krähen eines Hahns, die Bärte der Spanier, die schwarze Haut der Sklaven bestaunt. Mit anderen Worten, nicht dieses imposante fremde Schiff in seiner gewaltigen Größe hatte sie in Erregung versetzt, sondern einzelne Details . Pizarro war der erste Europäer, der so weit nach Süden vorgestoßen war. Zwar hatten auch Magellan und seine Flotte auf ihrer Weltumsegelung die Insel Feuerland bereits passiert, aber sie hatten die Küste viel weiter südlich verlassen. Vielleicht hatten die Chimú schon von diesen seltsamen Menschen von jenseits der Meere gehört? Wenn ja, zeigten sie sich beeindruckend entspannt, denn die Spanier hatten ja auf ihrer Jagd nach Gold überall, wo sie landeten, Tod und Krankheit und rohe Gewalt gesät. Vielleicht also, nur vielleicht, waren schon vor ihnen fremde Besucher auf großen Schiffen da gewesen. Besucher, die keine Bärte hatten und keine schwarze Haut.
Knox war Archäologe. Er stellte mit dem gleichen Vergnügen wie jeder andere Spekulationen an, aber bevor er sie ernst nahm, sah er sie gern durch handfeste Beweise untermauert. Abgesehen von der skandinavischen Siedlung L’Anse aux Meadows gab es nur einige dürftige Anhaltspunkte für Verbindungen in präkolumbischer Zeit. In einem präkolumbischen Haus in Mexiko war ein Terracotta-Kopf römischen Stils gefunden worden. Aus Stein gehauene Olmekenköpfe schienen afrikanische Gesichtszüge widerzuspiegeln. Es war bekannt, dass eine Flotte aus dem alten Großreich Mali über den Atlantik nach Westen gesegelt war. Und Kolumbus hatte von den Eingeborenen Hispaniolas von früheren
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