Die Drachenflotte (German Edition)
packte ihn am Kragen und versuchte, ihn zur Yvette zu schleppen, aber er schlug so heftig um sich, dass Knox ihn schließlich losließ und allein zum Boot zurückschwamm. Alle seine Versuche, von Bord aus die Maritsa zu erreichen, damit sie ihm auf halbem Weg entgegenkam, waren umsonst.
Boris’ Schreie waren leiser geworden, als Knox neben ihm hielt, wohl eher weil er völlig erschöpft war, nicht weil die Schmerzen nachgelassen hatten. Knox zog ihn mit einem Bootshaken zum Heck und hievte ihn herauf. Zusammengerollt wie ein Embryo blieb er liegen, sein Zahnfleisch blutete, und Blut und Schleim rannen ihm aus der Nase. Knox holte seinen Sauerstoff aus der Tasche, schloss die Atemmaske an und legte sie Boris über den Mund. «Ich muss Sie zu meinem Taucherschiff bringen», sagte er. «Halten Sie die Maske fest, okay?»
Boris hob den Arm, packte Knox beim Handgelenk und zog ihn zu sich hinunter. «Sie haben mich belogen», sagte er.
«Ja», antwortete Knox.
«Ich hab’s gewusst.» Tränen des Schmerzes und der Wut strömten ihm aus den Augen. «Ich hab’s gewusst und hab trotzdem nicht auf mich gehört.»
«Atmen Sie», sagte Knox.
«Wozu?», fragte Boris, von Schmerzen gequält. Sein ganzer Körper wölbte sich im Krampf, und er fasste nach Knox’ Hand, dann fiel er erschöpft zusammen. Aus einem Lid und aus seinem linken Ohr begann Blut zu sickern, während in seinem Körper eine schreckliche Zerstörung um sich griff. Sein Kopf fiel schlaff nach hinten, und er starrte wie verwundert zum Nachmittagshimmel hinauf. «Ich war ein Soldat», sagte er. Dann ließ er Knox los, und seine Hand fiel leblos herab.
II
Mit Rebeccas Hilfe brauchten Andriama und seine Leute nicht lang, um die Beweise für das zu finden, was die Habibs getan hatten. Im Zimmer des zweiten Sohns lagen unter dem Schreibtisch zahlreiche CDs von Sprachaufnahmen ihres Vaters: Feldnotizen, Podcasts und seine letzte Nachricht an seine verstorbene Frau. Eine Auswahl dieser Aufzeichnungen war in einen neuen Ordner auf dem Computer des Sohns hineinkopiert und verschiedene Bruchstücke dann zu jener vertrauten Botschaft zusammengesetzt worden, die sie so sehr ergriffen hatte.
«Rebecca. Rebecca, mein Liebling. Bitte, Rebecca. Tu, was sie verlangen. Es geht uns gut, aber –»
Jede Silbe ein Stich in Rebeccas Herz.
Sie fanden auch das Original, das für das von den Entführern übersandte Foto gedient hatte. Es war vor Monaten bei einem großen Mittagessen aufgenommen worden, bei dem Mustafa alle seine Gäste vor den Stallungen zusammengetrieben hatte, um sie in Gruppen, paarweise und einzeln zu fotografieren. Emilia hatte die ganze Zeit nur ein gelangweiltes Gesicht gemacht; aber Adam hatte mit jedem Mal zorniger über die Zumutung dreingeschaut. Und am deutlichsten war das auf dem gemeinsamen Foto von ihm und Emilia zu erkennen. Auch ein Foto von einem von Mustafas Söhnen entdeckten sie, auf dem dieser eine Zeitung hochhielt; und auch das manipulierte Endprodukt, das die Lösegeldforderung begleitet hatte.
Rebecca übergab Andriama das Lösegeld und ihre Kopie des Darlehnsvertrags. Sie war noch dabei, ihre Aussage zu machen, als er auf seinem Handy einen Anruf erhielt. Sein Gesicht verdüsterte sich zusehends, während er lauschte. Und immer wieder warf er einen Blick auf sie. Er kratzte sich unsicher am Kinn und wechselte dann in ein Patois, das sie nicht verstand.
«Was ist denn?», fragte sie, als er fertig war.
Er verzog das Gesicht, um sie auf schlechte Nachricht vorzubereiten. «Sie haben eine Leiche gefunden.»
Ihr Herz krampfte sich zusammen. «Wo?»
«Tsiandamba.»
Sie nickte. Tsiandamba war nur wenig südlich von Eden. «Wer ist es?»
«Das haben sie nicht gesagt.»
«Mann oder Frau?»
Er berührte behutsam ihren Arm. «Fahren wir hin», schlug er vor.
III
Knox blieb noch eine Weile bei Boris sitzen. Zum Teil aus Respekt vor einem Toten, zum Teil aus Müdigkeit, vor allem aber um in Ruhe zu überlegen, was er als Nächstes tun sollte. Er sah zwei Möglichkeiten. Er konnte den toten Boris an Land bringen und sich der madagassischen Justiz stellen. Aber er hatte Schlimmes über die hiesigen Gefängnisse und Gerichte gehört und war nicht erpicht darauf, seine Zukunft von ihnen abhängig zu machen. Und außerdem – er hatte zwar in seinem Leben gewisse Dinge getan, die Bestrafung und Sühne verlangten, aber das hier gehörte nicht dazu. Er hatte in Notwehr gehandelt.
Dann also Möglichkeit Nummer zwei.
Er stand auf und
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