Die Drachenflotte (German Edition)
Möglichkeit einer Entführung ins Spiel gebracht und ihnen sogar mitgeteilt hatte, dass sie bei Pierre übernachten würde. Mustafa hatte also damit rechnen können, das Haus in Eden leer anzutreffen. Und Schlüssel hatte er wahrscheinlich auch gehabt – vermutlich hatte er die neue Stahltür geliefert.
Mit ungeheurer Erleichterung dachte sie an die Stimme ihres Vaters am Telefon. ‹Rebecca›, hatte er gesagt. ‹Rebecca, mein Liebling.› Ihre Haut begann zu kribbeln, aber nicht vor Wohlgefühl. Ihre Mutter war immer Adams einziger Liebling gewesen, damals, jetzt und auf ewig. Selbst wenn es die Stimme ihres Vaters gewesen war, was besagte das schon? Sie war auf Dutzenden von CDs und Kassetten in seinem Arbeitszimmer gespeichert. Und das war das Einzige, was die Eindringlinge gesucht hatten: das Rohmaterial zur überzeugenden Vortäuschung einer Entführung, um auf diese Weise aus Rebeccas festem Glauben, sie würde Adam und Emilia zurückbekommen, grausam Kapital zu schlagen.
Von draußen war näher kommendes Sirenengeheul zu hören. Andriama musste ihre Nachrichten erhalten haben. Sie trat auf den Flur und blickte hinunter ins Atrium, wo Mustafa und seine Wachen beunruhigt zur Haustür hinausspähten, als drei Polizeifahrzeuge die Einfahrt heraufbrausten. Keiner von ihnen bemerkte Rebecca, als sie die Treppe hinunterging. Sie hatte Mustafa fast erreicht, als eine seiner Wachen einen Warnruf ausstieß. Er fuhr herum und erkannte in ihrem Blick, dass sie alles wusste. Sein tiefes Erblassen bestätigte ihr alle ihre Befürchtungen. Während Andriama und seine Leute ins Haus stürmten, wurde sie von Zorn und Schmerz überwältigt. «Sie haben mir Hoffnung gemacht», schrie sie Mustafa an, «Sie haben mir Hoffnung gemacht.» Ihre Hände waren zu Klauen gekrümmt, als sie sich auf ihn stürzte.
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Kapitel 43
I
K nox hielt den Blick konzentriert auf das Messer gerichtet, das direkt über ihm in Zeitlupentempo durch das Wasser sank. Wenn er überleben wollte, war das seine einzige Chance. Er streckte den Arm in die Höhe, um es zu ergreifen, aber durch einen Strudel traf es auf seinen Handballen, von wo es über seinen Unterarm und die Schulter glitt und hinter seinem Rücken verschwand. Als er sich blitzschnell umgedreht hatte, war es schon bis zu seiner Hüfte hinuntergeglitten. Wieder griff er danach, aber es war so schwer zu fassen wie Seife in der Badewanne. Mit einem Mal straffte sich der Strick, an dem buchstäblich sein Leben hing, und riss ihn zurück, und er musste fassungslos zusehen, wie das Messer an seinem Bein entlang abwärtsschwebte. Hektisch und doch kontrolliert langsam, um keine Wirbel zu erzeugen, streckte er den Fuß aus.
Das Messer traf zuerst auf die Spitze seiner Flosse, dann kippte es und blieb in heikler Position liegen, das Heft zur Hälfte über den Rand hinausragend. Wieder wollte er danach greifen, wieder hielt ihn die Leine zurück. Er bekam jetzt überhaupt keine Luft mehr. In seiner Verzweiflung hob er den Fuß an. Das Messer rutschte von der Flosse herunter, aber er konnte es schnappen und riss es sich sofort an den Hals. Mit seitlich gedrehter Klinge schob er die Spitze unter die Angelschnur, drehte sie dann und drückte sie von sich weg. Und plötzlich riss die Schnur. Er war frei, konnte wieder atmen, in gierigen Zügen sog er die Luft in seine ausgehungerte Lunge.
Erst nach einer guten Minute hatte er sich so weit erholt, dass er überhaupt an die nächsten Schritte denken konnte. Er drehte vorsichtig das Messer in seinen Händen und schnitt die Plastikhandschellen durch. Dann blickte er wieder nach oben. Boris strampelte immer noch über ihm herum. Trotz allem tat der Mann ihm entsetzlich leid. Die Dekompressionskrankheit wurde von grauenvollen Schmerzen begleitet, bei denen man das Gefühl hatte, Bolzen würden einem durch sämtliche Gelenke gejagt. Aber im Moment konnte er gar nichts für ihn tun. Er musste seinem eigenen Körper die Zeit geben, sich auf den niedrigeren Druck einzustellen, sonst würde er das gleiche Schicksal erleiden.
Als er schließlich auftauchte, zappelte Boris wimmernd und weinend vor Schmerzen im Wasser. Leichtere Dekompressionsunfälle ließen sich gut mir reinem Sauerstoff behandeln, deshalb hatte Knox auch immer einen kleinen Behälter in seiner Tauchertasche, aber damit war Boris nicht mehr zu retten. Für ihn bestand nur noch Hoffnung, wenn er in die Dekompressionskammer auf der Maritsa gebracht werden konnte. Knox
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