Die Drachenflotte (German Edition)
keine an ihr befestigt. Voller Entsetzen sah sie die blutverkrusteten Einstiche in seinem Taucheranzug. Sie waren über seinen ganzen Körper verteilt, und zwei waren auf seinem rechten Unterarm, als hätte er versucht, sich gegen einen heftigen Angriff zu wehren. Es waren keine Bisse, etwa von einem Hai, oder Risse von Korallen, sie waren keines natürlichen Ursprungs. Sie konnten, so sauber und abgezirkelt, wie sie waren, nur von einem spitzen Messer verursacht worden sein.
Ihr linkes Bein knickte unter ihr weg. Andriama fing sie auf und half ihr zu einer Bank. Ein gebeugter grauhaariger Geistlicher, lateinamerikanischer Herkunft dem Aussehen nach, deckte ihren Vater wieder zu, bevor er zu ihr kam und sich an ihre Seite setzte. Er ergriff ihre Hand und drückte sie. Seine gichtigen Finger waren dunkel und behaart, unter den abgebrochenen Nägeln saß dunkle Erde. Ein Mann wie ihr Vater, der seinen Glauben in harter Arbeit ausübte.
«Wer hat ihn gefunden?», fragte sie.
«Er hat auf dem Riff gelegen. Alle haben ihn zu gleicher Zeit gesehen.»
«Ich hatte eine Belohnung ausgesetzt.»
Er wehrte ab. «Das ist jetzt nicht der Moment.»
«Wir müssen seinen Leichnam nach Toliara bringen», murmelte Andriama auf ihrer anderen Seite. «Wegen der Todesursache, Sie verstehen.»
«Wir kennen die Todesursache», sagte Rebecca. «Haben Sie es nicht gesehen? Sie haben ihn mit einem Messer abgeschlachtet.»
«Bei allem Respekt, Rebecca, ein Unglücksfall auf See kann häufig –»
«Er ist erstochen worden», widersprach Rebecca. «Sie wissen es so gut wie ich.» Andriama senkte den Blick. Sie spürte sofort, dass er ihr etwas verheimlichte. «Was ist los?», fragte sie. «Was verschweigen Sie mir?»
Andriama seufzte tief. «Es hat einen Zwischenfall gegeben», gestand er widerstrebend. «In Morombe.»
Rebecca fröstelte. Aus Morombe war Daniel gekommen. «Was für einen Zwischenfall?»
«Ein ernster. Wir haben zwei Leichen gefunden. Zuerst haben wir gedacht, es wäre nur ein Streit gewesen, der außer Kontrolle geraten ist. Die beiden waren Waffenhändler. Sie haben sich gegenseitig erschossen. Eigentlich ganz logisch. Aber einer wurde durch einen Messerstich verletzt, und wir haben nirgends am Tatort ein Messer gefunden. Inzwischen haben wir gehört, dass sie sich mit einem Fremden treffen wollten.»
Rebecca nickte. «Und Sie glauben, diese Sache hat mit dem Mord an meinem Vater zu tun?»
«Mord ist sehr selten in Madagaskar», sagte Andriama. «Ebenso Messerstechereien. Zwei solche Zwischenfälle, zeitlich und örtlich so dicht beieinander, beide mit Ausländern. Aber bis jetzt ist es nur eine Möglichkeit. Zufälle kommen vor. Wir wissen noch nicht einmal mit Sicherheit, ob Ihr Vater ermordet worden ist.»
Sie stieß einen Laut der Geringschätzung aus und sah ihn unwillig an. Aber diesmal hielt er ihrem Blick stand, und es war Rebecca, die die Augen niederschlug. «Ja, Sie haben wahrscheinlich recht», sagte sie.
Er berührte ihren Arm. «Wenn Ihr Vater ermordet worden ist, fassen wir seinen Mörder. Das schwöre ich Ihnen.»
«Danke.» Sie blickte zu dem aufgebahrten Toten hinüber. «Kann ich einen Moment für mich allein haben?»
«Natürlich.»
Beide Männer gingen. Sie lauschte ihren Schritten nach. Als die Tür sachte hinter ihnen zugefallen war, stand sie auf und ging wieder zu ihrem Vater. Noch einmal schlug sie das Altartuch zurück. Sie löste den GPS-Empfänger vom Handgelenk ihres Vaters und steckte ihn ein. Dann küsste sie ihren Vater auf die Stirn und hielt mit ihm stille Zwiesprache, bevor sie ihn liebevoll wieder zudeckte.
II
Es war dunkel geworden, als Knox die Yvette vertäute und an Land watete. Er hörte Motorengeräusch und sah einen weißen Geländewagen auf der Küstenstraße. Am Steuer saß Rebecca. Er rannte nach Eden hinauf, um sie zu treffen, aber an ihrem blassen Gesicht und ihren verweinten Augen sah er sofort, dass etwas Schlimmes passiert sein musste. «O nein!», sagte er und nahm sie in die Arme. Sie weinte an seiner Schulter, als hätte sie ihren Gram während der Fahrt zurückgehalten und könnte ihm nun freien Lauf lassen.
«Beide?», fragte er.
«Mein Vater.»
«Was ist passiert? Waren es die Entführer?»
«Nein. Das war nur Schwindel. Nichts als ein gemeiner Schwindel, den dieser Verbrecher Mustafa und seine Söhne organisiert hatten. Sie hatten weder meinen Vater noch Emilia je in ihrer Gewalt. Er ist schon mehrere Tage tot.»
«Ach, Rebecca, es tut mir so
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