Die Drachenflotte (German Edition)
Eine verblichene Farbfotografie von Yvette als junger Frau war in die Wand zur Linken der Tür eingelassen, ein trüb gewordenes Glas schützte sie. Yvette war eine Merina gewesen, dunkel wie die Polynesier und mit einem leuchtenden Lächeln, das sie sich irgendwie bis zum Ende bewahrt hatte, unauslöschlich wie das Lächeln der Cheshire-Katze aus Alice im Wunderland . Jenseits der Tür begrenzten Steinplatten zu beiden Seiten einen schmalen Gang. Auf der Platte zur Linken lagen in üppiges rotes Tuch eingehüllt ihre sterblichen Überreste. Die Platte auf der rechten Seite war leer, wartete auf Adam. Er hatte damals schon gewusst, dass er nicht wieder heiraten würde, und hatte Yvette damit geneckt, dass er sich nun endlich aussuchen könne, auf welcher Seite er schlafen würde. Aber er hatte ihr im Tod wie im Leben die linke Seite überlassen, genau wie sie das vorher gewusst hatte. Er hatte sich in allem, was zählte, nach ihr gerichtet. Mit Freuden.
In einem aus Backstein gemauerten Kamin lagen Häufchen grauer Asche, die verkohlten Reste von Fotografien und eines Tonbands. Adam hatte Yvette versprechen müssen, ihr regelmäßig von ihrer Familie zu berichten, wenigstens einmal im Jahr an ihrem Todestag. Auf einer Kassette erzählte er ihr, was sich das Jahr über in Eden getan hatte, wie es allen ging, und ergänzte den Bericht mit Fotografien von Eden, dem Boot, den Riffen und den Dorfbewohnern. Dann errichtete er einen großen Scheiterhaufen, übergoss ihn mit Benzin und brachte sein Opfer dar. Alte Freunde, die aus England zu Besuch kamen, neckten Adam deswegen. Früher war er überzeugter Atheist gewesen, doch ihr zuliebe war er dem katholischen Glauben beigetreten. Und nahm ihn ernst.
Als die Ärzte in den Krankenhäusern von Madagaskar Yvette aufgegeben hatten, lehnte sie Adams Vorschlag ab, mit ihr nach Europa zu fliegen. Sie war Madagassin, diese Insel war ihre Heimat. Die meiste Zeit sah sie dem Tod mit Tapferkeit entgegen. Genau wie Adam. Rebecca fand die Ehrlichkeit und die Heiterkeit der beiden unerträglich, schlimmer noch als die gelegentlichen lautstarken Kräche zwischen ihnen. Sie lasen einander Interviews mit Sterbenden von Elisabeth Kübler-Ross vor und lachten, wenn sie eigene Verhaltensweisen wiedererkannten, wie über einen guten Witz. Rebecca wünschte sich verzweifelt, ihre Mutter würde gegen die Krankheit kämpfen, sich dagegenstemmen, auch wenn sie sie nicht besiegen konnte. Der Tumult ihrer noch kindlichen Gefühle äußerte sich in Bockigkeit und Wutausbrüchen. Sie war wütend auf Adam, dass er Yvette sterben ließ, wütend auf die hilflosen Ärzte, auf die Krebszellen, die Yvettes Körper überschwemmten, die Vögel, die solchen Radau machten, dass sie keine Ruhe fand, die Sonne mit ihrer Glut, den Wind mit seinem Brausen, die Windstille, die ihr kein kühlendes Lüftchen gönnte. Die ganze Schöpfung schien sich gegen ihre Mutter verschworen zu haben.
In ihren letzten Lebensmonaten litt Yvette manchmal an schweren Depressionen und warf sich, zum Teil auch durch Rebeccas Animosität veranlasst, vor, eine schlechte Mutter gewesen zu sein, die zu viel ihrer Zeit den einheimischen Kindern gewidmet hatte und nicht genug ihren eigenen. Rebeccas Beteuerungen, dass das nicht wahr sei, hatten so hohl geklungen, dass sie Yvette nur noch niedergeschlagener machten. Die Momente, die sie zusammen verbrachten, wurden zur Qual. Rebecca begann, ihre Mutter zu meiden.
Eines Tages schickte Adam sie zum Einkaufen. Bei ihrer Rückkehr erwartete er sie an der Haustür, den Finger auf den Lippen, um sie zum Schweigen zu mahnen. Sie fürchtete das Schlimmste. Aber Adam führte sie in den Empfang, außer Hörweite von Yvette, und schloss die Tür. Er wartete, bis sie sich gesetzt hatte, dann eröffnete er ihr die grausame Wahrheit über die Krankheit ihrer Mutter. Wenn die Leukämie einmal so weit fortgeschritten sei, erklärte er ihr, ende sie fast immer mit dem Tod. Menschen, die dem Tod ins Auge sehen müssten – und auch jene, die sie liebten –, durchschritten im Allgemeinen verschiedene emotionale Zustände auf ihrem Weg der Verarbeitung des unumgänglichen Abschieds. Diese Phasen seien wohlbekannt und völlig natürlich und umfassten Nichtwahrhabenwollen, Isolation, Zorn, Verhandeln und Depression. Yvette habe dieses letzte Stadium erreicht. Häufig würden Menschen von Depressionen heimgesucht, die fürchteten, ihr Leben vergeudet zu haben.
«Seien wir ehrlich», sagte er. «Wenn man sich
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