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Die Drachenflotte (German Edition)

Die Drachenflotte (German Edition)

Titel: Die Drachenflotte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Adams
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vorher nie jemandem erzählt hatte – ausgerechnet ihm, einem Journalisten. Sie hatte schon bei den ersten Worten gewusst, dass es unbesonnen war, aber als sie einmal angefangen hatte, hatte es kein Halten mehr gegeben. Außerdem hatte sie das Gefühl gehabt, ihm vertrauen zu können, und hatte es immer noch. Und auch wenn sie ihm gesagt hatte, er müsse heute abreisen, ertappte sie sich jetzt bei der Hoffnung, er würde bleiben.
    Draußen war es kühl. Sie schlug einen altvertrauten Fußweg durch den Dornbuschwald ein und hielt die Arme eng um den Bauch, bis ihr von der körperlichen Anstrengung warm wurde. Der schmale Pfad war an vielen Stellen überschwemmt, immer wieder blieben ihre Füße im Schlamm stecken und waren bald nass und kalt. Aber sie drehte nicht um. Mehr als zehn Jahre hatte sie diesen Gang aufgeschoben. Er konnte nicht länger warten.
    Alles funkelte vor Nässe. Vögel sangen, Heuschrecken sprangen in hohem Bogen vor ihren Füßen auf. Termitenhügel waren rostrot vom Regen. Ein riesiges Spinnennetz glitzerte wie Silber über ihrem Kopf. Die Regenfluten des vergangenen Abends waren außergewöhnlich gewesen. Dieses Gebiet war den größten Teil des Jahres über trocken und dürr. Der subtropische Wirbel des Indischen Ozeans und der gebirgige Rücken Madagaskars sorgten für Feuchtigkeit an der Ostküste der Insel, während die Westküste trocken blieb. Hier mussten die Pflanzen während der seltenen Regengüsse ausreichend Wasser sammeln, um die Dürrezeiten überstehen zu können. Blumen und Bäume wappneten sich daher mit Dornen, um das kostbare Nass zu schützen. Ebenso Spinnen und Chamäleons. Der in Madagaskar heimische Tenrek und der Igel waren Lehrbuchbeispiele konvergenter Evolution. Wie der Igel war der Tenrek ein Winterschläfer, der sich während der Regenzeiten ein Fettdepot anfraß und in den Dürreperioden in einen Starrezustand, den Torpor, verfiel, um zu überleben. Eine an dieser Küste vielgeübte Strategie. Der Mauslemur, der kleinste Primat der Welt, konnte seine Körpertemperatur auf nur sieben Grad absenken. Als Kind hatte Rebecca es verstanden, diese winzigen Halbaffen mit den großen Augen in ihren gemütlichen Baumhöhlen aufzuspüren. Wenn man sie in der Hand hielt, pulsierte ihr ganzer Körper vor Angst. Die Angst war berechtigt, wie oft hatte sie ihre Knöchelchen in den Exkrementen von räuberischen Tieren wie Schlangen, Eulen und den katzenartigen Fossas gefunden. Aber von ihr hatten sie nie etwas zu befürchten gehabt. Sie liebte die Lemuren, nicht zuletzt weil so viele ihrer Art matriarchalisch lebten. Sie wussten, wie die Beziehungen zwischen den Geschlechtern sein sollten. Bei den Kattas hatten die Weibchen bei der Nahrung die erste Wahl, nahmen den höheren Rang in der Gruppe ein und verteidigten ihre Stellung mit Hieben und Bissen gegen aufsässige Männchen.
    Erst nachdem sie Eden verlassen hatte, war Rebecca bewusst geworden, was für eine privilegierte Kindheit sie genossen hatte. Ihre Kommilitonen an der Universität in Oxford hatten den größten Teil ihres Wissens über die Natur aus Büchern gewonnen, nicht aus dem Erleben. Sie beneideten sie darum, wie sie aufgewachsen war, was Rebecca immer ein wenig verwundert hatte. Madagaskar war das Mekka der Biologen. Vor achtundachtzig Millionen Jahren war die Insel vom Großkontinent Gondwana, wo sie zwischen Afrika, Indien und Australien eingeklemmt war, abgetrennt worden. Seitdem hatten sich ihre Fauna und Flora eigenständig entwickelt. Und Madagaskars abwechslungsreiche Ökosysteme, vulkanische Höhenzüge, Riffe, Regenwälder, Trockenwälder, Dornbuschwälder und Savannen hatten nicht nur eine außerordentlich große Zahl, sondern auch eine erstaunliche Vielfalt einheimischer Tier- und Pflanzenarten hervorgebracht.
    Sie stieg einen kleinen Hügel hinauf. Ein Baobab mit verkrüppelten Ästen stand mächtig wie ein altägyptischer Tempelpylon am Eingang zu einer altvertrauten Lichtung. Rebeccas Mutter hatte diesen Platz hier oben geliebt, wegen seiner Stille und des weiten Blicks über die Lagune. Sie hatte ihn beinahe täglich aufgesucht, bis die Krankheit sie zu sehr geschwächt hatte, und dann hatte Adam ihr sein Wort geben müssen, dass er sie hier begraben würde. Er hatte es gehalten. Das niedrige Grabmal stand im Herzen der Lichtung. Seine weißen Mauern waren rau verputzt. Wenn man mit der Hand über sie hinstrich, holte man sich Schrammen. Sechs Stufen führten zu einer verschlossenen Tür hinunter.

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