Die Drachenflotte (German Edition)
verrotteten Kadaver verlassener Boote und Schiffe. Reiher, Regenbrachvögel und Regenpfeifer wateten mit ihrem eigenartigen ruckhaften, stolzierenden Gang im Schlick und im flachen Wasser. Zwei Fischer schoben ihre Piroge ins Wasser, sprangen hinein und paddelten mit energischen Schlägen zu ihnen hinaus.
Knox sah Rebecca an, die auf der Steuerbordbank saß und zum Land hinüberblickte. «Stimmte das eigentlich alles?», fragte er.
Sie wandte sich ihm zu, die Brauen fragend erhoben, obwohl er sicher war, dass sie wusste, wovon er sprach. «Stimmte was alles?»
«Na, das ganze Zeug gestern Abend. Dass Sextouristen Spaghettipenisse haben und bis neunundfünfzig bei der Mama wohnen.»
Sie warf trotzig den Kopf zurück. «Bei ihm stimmt’s auf jeden Fall.»
Er musste lachen, und sein Lachen war so deutlich ungekünstelt, dass sie endlich aufzutauen schien. Ihre Blicke trafen sich flüchtig, aber dann schaute sie schnell, beinahe verwirrt, wieder weg. «Sie sind also freier Journalist?», fragte sie. «Haben Sie ein Spezialgebiet?»
Knox zuckte mit den Schultern. Er hatte die Frage erwartet und beschlossen, so dicht wie möglich an der Wahrheit zu bleiben. «Archäologie und Geschichte in erster Linie.»
«Daher das Interesse an dem Bergungsschiff?»
«Ja.»
«Ich habe ein Interview mit diesem Mann gelesen. Er ist der Meinung, dass die Chinesen schon vor Kolumbus in Amerika waren.»
«Ja, davon ist er überzeugt», bestätigte Knox.
Rebecca lachte. «Aber hatten denn die Chinesen nicht wie die Europäer Angst davor, über den Rand der Welt hinauszusegeln?»
Knox zögerte. «Das ist wohl eher ein Mythos», sagte er schließlich. «Niemand hat jemals ernsthaft geglaubt, die Erde wäre eine Scheibe.» Er wies zum westlichen Horizont. «Überlegen Sie mal. Jeder Seemann konnte erkennen, dass die Welt rund ist. Er brauchte nur auf den Mast seines Schiffs zu klettern, um die Krümmung des Meeres zu sehen. Ach was, man brauchte nicht einmal ein Boot dazu, eine hohe Klippe genügte. Und wenn kein Meer da war, gab es genug andere Möglichkeiten. Man konnte den Erdschatten bei einer Mondfinsternis beobachten, oder die unterschiedlichen Längen der Schatten messen, die ähnliche Gegenstände auf unterschiedlichen geographischen Breiten werfen.» Er beugte sich vor, als die Leidenschaft ihn packte. «Es gab einen hervorragenden Gelehrten aus Alexandria namens Eratosthenes. Er errechnete auf diese Weise schon 300 vor Christus den Erdumfang beinahe punktgenau.»
«Tatsächlich? Und woher stammt dann die Vorstellung, die Erde sei flach?»
Knox lächelte. «Das hat nun zufällig Ihre Branche zu verantworten.»
«Meine Branche?»
«Ganz recht.» Er nickte. «Darwinisten, Evolutionisten. Gerechterweise muss man allerdings sagen, dass dieser Glaube von einem amerikanischen Essayisten und Romanautor namens Washington Irving in die Welt gesetzt wurde. Er schrieb so um 1830 einen teilweise romantisierten Bericht über Kolumbus’ Reisen, in dem er Kolumbus hohes Lob dafür zollte, dass er es den herkömmlichen Vorstellungen seiner Zeit zum Trotz riskierte, über den Rand der Welt zu segeln, um das Wissen von der Welt zu erweitern. Aber das war kompletter Unsinn. Kolumbus brach damals ja nicht auf, um eine neue Welt zu entdecken; er wollte nur einen kürzeren Seeweg zu den Gewürzinseln finden. Die Leute, die ihn davon abhalten wollten, erklärten, eine solche Reise sei viel zu weit, um erfolgreich unternommen werden zu können, weil sie ganz richtig glaubten, der Erdumfang messe ungefähr drei- oder vierundzwanzigtausend Meilen. Aber Kolumbus wollte davon nichts wissen. Er behauptete, es wären nur siebzehntausend Meilen, was bedeutet hätte, dass Japan lediglich zweieinhalbtausend Meilen westlich von Spanien liegt.»
«Und wie weit ist es wirklich?»
«Zehn- oder elftausend Meilen, so in der Größenordnung. Aber das Entscheidende ist, dass Washington Irving die Tatsachen bekannt waren. Wie übrigens jedem. Er wollte nie, dass sein Roman für bare Münze genommen wird. Aber irgendwie nistete die Vorstellung sich ein, und auf einmal waren die Leute überzeugt, die Anhänger der Theorie von der Erde als Scheibe hätte es wirklich gegeben. Dann kam Darwin mit all seinen beunruhigenden Ideen von der Evolution daher, und viele bekamen es mit der Angst und versuchten, ihn niederzumachen. Die Wissenschaft blieb auf der Strecke, das Ganze wurde zum Propagandakrieg. Und zwei von Darwins Verteidigern, Draper und Dickson White hießen
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