Die Drachenjägerin 1 - Winter, M: Drachenjägerin 1
sich Blätter auf die Schultern.
» Was machst du denn da?«
Ein zweites Mal zerbrach die Wirklichkeit; einen fürchterlichen Moment lang stand die ganze Welt auf der Kippe, und sie wusste nicht, auf welcher Seite der irrsinnige Albtraum war und auf welcher die Rettung. Dann rückten sich die Dinge endlich ins Lot.
Sie sprang auf und fühlte sich ertappt. Der Himmel war immer noch blau. Hinter ihr plätscherte der Bach, und ein leichter Wind bewegte die frühlingsgrünen Blätter, zwischen denen es knisterte.
» Habe ich dich erschreckt?« Yaro brach durch die Zweige. » Was ist denn mit dir los, Linn?«
» Du Idiot!«, brüllte sie ihn an, ihr Herz schlug immer noch wie wild. Rasch klopfte sie sich Erde und trockene Blätter aus dem Kleid.
Yaro bemühte sich, nicht zu lachen, aber es prustete nur so aus ihm heraus. Schuldbewusst wandte er das Gesicht ab, konnte jedoch nicht länger an sich halten und krümmte sich schließlich glucksend auf dem Boden.
» Sehr witzig«, zischte sie. » Wie schön, dass du mich auslachst.«
» Ich habe nicht …« Ein erneuter Lachanfall hinderte ihn am Weiterreden.
» Du solltest nicht herkommen«, stieß sie hervor, immer noch schwankend zwischen Zorn und bodenloser, lähmender Furcht.
» Warum nicht? Damit ich nicht sehe, wie du versuchst, dich in die Erde einzugraben wie ein Kaninchen?« Er rappelte sich auf, schüttelte seine grobe Leinentunika aus und lachte wieder los. » Oh Linn, das ist … wenn ich das im Dorf erzähle …«
» Nein!«, begehrte sie auf. » Das verrätst du niemandem!«
» Beruhige dich.« Yaro kämpfte mit dem gewaltigen Grinsen in seinem Gesicht. » Und verzeih mir. Oh bitte, verzeih mir, meine allerliebste Linn, dass ich mich so amüsiere, während du dich fürchtest.«
» Ich hasse dich«, murmelte sie böse.
» Nein, tust du nicht.«
» Tu ich doch.«
Er lachte wieder. Jemandem wie Yaro fiel das nicht schwer. Er hatte freundliche braune Augen und ein breites Grinsen; oft und gerne zeigte er seine schönen weißen Zähne. Ein paar Sommersprossen hatten sich auf seine Nase verirrt, als hätte er sich bei dem rothaarigen Bauern, für den er arbeitete, angesteckt. Weißdornblüten zierten seine kastanienbraunen Locken. Mit Sicherheit war er der hübscheste Junge von Brina, möglicherweise sogar der ganzen Provinz Nelcken.
Er bemerkte ihren Blick. » Man kann ja kaum durch dieses Gestrüpp kriechen, ohne danach auszusehen wie Braut und Bräutigam, findest du nicht?« Er zupfte die kleinen weißen Blüten heraus und streute sie auf Linns aufgelöste Frisur. Selbst mit einem Zopf ließen sich ihre widerspenstigen Haare kaum bändigen. Die bunten Bänder, die sie wie alle unverheirateten Mädchen hineinflocht, rutschten auch sonst gerne halb heraus, jetzt hingen sie ihr auf die Schultern und lagen auf dem Boden herum. Yaro erbeutete eins davon, ein schmales blaues Band, das er sich ums Handgelenk wickelte.
» Die darfst du nicht klauen! Wenn, dann muss ich es dir schenken.«
» Dann gib mir doch endlich eins. Oder zwei. Oder alle. Wem sonst, wenn nicht mir? Ich bin der Einzige im Dorf, der nur Mädchen mag, die ihn zum Lachen bringen.«
Er küsste sie auf die Nasenspitze.
Linn fühlte, wie die Anspannung von ihr abfiel, wie der Albtraum auseinanderbrach und seinen Schrecken verlor. Vielleicht wäre ich längst verrückt geworden, dachte sie, wenn Yaro nicht wäre.
Doch plötzlich kehrte der Zorn zurück. » Wenn du mich nicht ernst nimmst …«
» Oh, ich nehme dich ernst«, versicherte Yaro hastig. Um seine Mundwinkel zuckte es verräterisch. » Du siehst Drachen. Das ist in der Tat alles andere als witzig.« Er sprach betont fürsorglich, wie ein verständnisvoller Erwachsener mit einem verstörten Kind, das darauf besteht, dass ein Ungeheuer unter seinem Bett wohnt.
Linn bekam nicht schlecht Lust, sich auf ihn zu stürzen und ihm die Haare auszureißen. Sie machte sich bereit zum Angriff, senkte den Kopf und ballte die Fäuste, als er sagte: » Wusstest du, dass du besonders hübsch bist, wenn du wütend bist? Bei den Göttern, hast du schöne Augen.«
Dieses Kompliment nahm ihr den Wind aus den Segeln. » Ach?« Doch so schnell ließ sie sich nicht besänftigen. » Was hat das überhaupt damit zu tun?«
» Ich meine nur … Ich würde meinen Vater gerne bitten, deinen Stiefvater zu fragen, aber es wäre hilfreich, wenn du nicht immerzu alle Leute mit deinen Drachengeschichten erschreckst, verstehst du?«
Linn runzelte die Stirn.
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