Die Drachenjägerin 2 - Winter, M: Drachenjägerin 2
besitzt sie?« Sie musterte die Tänzerin, eine Frau, die die dreißig schon überschritten hatte und dennoch mühelos mit den jüngeren Mädchen mithalten konnte. » In ihrem Haar, jetzt sehe ich es. Ein Zahnsplitter, mehr nicht. Seit wann trägt sie das? Seit wann legt sie sich einen Drachen und seine magischen Träume unters Kopfkissen?«
» Ich weiß es nicht«, flüsterte er verzweifelt. » Bitte …«
» Du darfst hoch ins Schloss gehen«, schlug Chamija vor. » Du musst es nicht mit ansehen. Geh, mein Kleiner, und erfreu den König mit deinen Späßen. Er hat schlechte Laune.«
Jikesch wunderte sich, dass er jemals angenommen hatte, ihre Augen wären blau. Sie waren schwarz wie die Tinte auf dem Schädel seines Vaters und erzählten die Geschichte eines langen Lebens. Von einem Weg, gewunden und krumm und voller Steine … die Augen einer uralten Frau.
» Doch wenn du zuschauen willst, dann sieh genau hin«, sagte sie. » Lass dir nichts entgehen und wisse, wer ich bin und was ich tun kann. Glaubst du immer noch, du könntest mir entkommen?«
» Nein«, wisperte er.
» Schön.« Sie lächelte.
Er wartete darauf, dass etwas geschah. Dass Alasan zusammenbrach, die Hände am Hals. Doch die Mädchen tanzten, und die Musik spielte, und rein gar nichts passierte. Die Zuschauer klatschten und warfen ihre Münzen in die bereitstehende Kiste.
» So.« Alasan eilte auf ihn zu, fasste ihn am Arm. » Jetzt bin ich fertig. Komm, Jikesch. Nach dort hinten, komm mit. Du hast es mir versprochen, weißt du nicht mehr?«
» Ja«, sagte er dumpf. Er wandte sich nicht nach hinten, um zu sehen, ob Chamija ihnen folgte. Wie ein Tier, das zur Schlachtbank geführt wird, trottete er hinter der hübschen Tänzerin her zum Stand der Messerwerfer, die dem staunenden Publikum ihre Treffsicherheit demonstrierten.
» Ich bin der Narr des Königs.« Er musste wenigstens versuchen, Widerstand zu leisten. » Es wäre nicht gut, wenn man mich hier sieht, wie ich Messer durch die Gegend schleudere.«
» Ach was«, meinte die junge Frau unbekümmert. » Wir haben hier noch mehr Narren, die genauso kostümiert sind wie du. Niemandem wird etwas auffallen, und wenn man dich fragt, sagst du, es sei einer deiner Vettern gewesen. Nechtrisch turnt auch da herum. Sieht er nicht fast aus wie du?«
Der andere Narr war ganz ähnlich geschminkt, nur dass seine Lippen rot waren statt schwarz; Kostüm und Mützen dagegen waren gleich. Sie hätten Zwillinge sein können.
» Hier.« Alasan drückte Jikesch das Messer in die Hand, und er schleuderte es, ohne hinzusehen. Seltsam, dass seine Finger nicht zitterten, nicht einmal jetzt, obwohl er darauf wartete, dass jeden Moment etwas Schreckliches geschah. Dass er die Mitte getroffen hatte, das Zentrum des Gelingens, bestätigte ihm der Beifall der Zuschauer.
» Ins goldene Herz.« Alasan nickte anerkennend. » Du bist wahrlich ein Adler, Wind unter den Flügeln.«
Ihr Messer bohrte sich neben seinem ins Holz, und das Publikum zollte ihr seinen Beifall.
Die Männer trugen das hölzerne Gestell ein paar Yags weiter nach hinten und lächelten herausfordernd. Schon die vorige Entfernung hatte gutes Können verlangt, jetzt brauchte man etwas mehr als das.
Die Bürger von Lanhannat tuschelten. » Das schafft er nie! Seht ihn euch an! Eine Witzgestalt.«
» Die Frau ist nicht stark genug. Man braucht Kraft in den Armen dafür.«
» Unsinn. Man muss nur gut zielen können.«
Alasan hob die Hand, und die Leute verstummten, angespannt vor Erwartung.
» Das ist leicht«, sagte Jikesch. Immer noch hatte er Angst. Chamija kontrollierte seine Bewegungen nicht, wie er befürchtet hatte, und dennoch kribbelte es in seinem Nacken vor Anspannung. Er schloss die Finger um den Messergriff und sah sich wieder kurz nach der Zauberin um. Stand sie irgendwo im Publikum? Ihm war, als könnte er ihren kalten Blick spüren.
» Na los«, zischte Alasan, » worauf wartest du?«
Er warf das Messer, und es flog, wie es fliegen sollte.
Sie strahlte ihn zufrieden an und tänzelte zur Scheibe, doch statt nur die Messer herauszuziehen, stellte sie sich vor das Brett und winkte ihm herausfordernd.
Sie hatten das oft genug getan. So oft, dass es keinen Grund gab, um ihr Leben zu bangen. Obwohl es Jahre her war, zweifelte Nival nicht daran, dass er dieses Spiel noch beherrschte. Er wusste, wie er werfen musste: Schnell, ein Messer nach dem anderen, dicht neben ihre Haut, so dicht, dass die Zuschauer den Atem anhielten, nach
Weitere Kostenlose Bücher