Die Drachenjägerin 2 - Winter, M: Drachenjägerin 2
in die dichten Wipfel des Waldes. Erde und Gesteinsbrocken wirbelten in rasender Geschwindigkeit durch die Luft, ergriffen den Drachen und drehten ihn mit sich. Sein schrilles Kreischen schmerzte Linn in den Ohren, als er mit dem peitschenden Schwanz die Baumkronen rasierte. Verzweifelt kämpfte er gegen den Wirbel an, flatterte wie ein im Netz gefangener Singvogel und sank in atemberaubender Geschwindigkeit tiefer. Er stürzte auf sie herab, genau dorthin, wo sie mit gezücktem Schwert stand, den Kopf in den Nacken gelegt.
Es war zu spät, um zu fliehen und sich in Sicherheit zu bringen. Zu spät, um noch irgendetwas zu tun, um auch nur zu versuchen, den magischen Sturm zu lenken. In dem Moment, als sie den Zauber entfesselt hatte, war ihr bewusst gewesen, dass sie ihn nicht kontrollieren konnte. Aber dies war einer der Drachen, die ihr Heimatdorf zerstört hatten, einer der vier, die Höfe und Menschen in Brand gesetzt hatten, die schuld daran waren, dass Linn Brina verlassen hatte, um eine Drachenjägerin zu werden. Ihr Bruder Rinek, der ein Bein verloren hatte … Binia, ihre kleine Schwester, mit verbranntem Rücken, roten Blasen auf der Kopfhaut, ohne ihr goldenes Haar … vielleicht lebte sie nicht einmal mehr. Dieser Drache war einer der vier, die in die Stadt Lanhannat eingefallen waren und ihren Kampflehrer Bher und zwei seiner Freunde getötet hatten. Das alles blitzte wie ein einziger Gedanke durch ihren Geist, während das blaugrüne Ungeheuer kreischend vom Himmel fiel – Ich hab dich, du Biest! Und: Verdammt, sollen die anderen etwa ungeschoren davonkommen?
Dann regnete es Schlamm und Steine auf sie. Linn duckte sich, die Arme schützend über dem Kopf, und erwartete den Aufprall, doch nichts geschah. Sie blinzelte – die letzten Strahlen der rötlichen Abendsonne brachen durch die Wolken. Der Drache schwang sich mit einem erleichterten Fauchen höher und drehte eine Runde über den Bäumen, bis jemand rief: » Hier sind wir! Hier!« Als Nächstes stieg er mitsamt der Sänfte höher, um über den Berggipfel davonzusegeln, von einer Seite zur anderen schwankend wie ein angeschossener Vogel.
Der Wald verharrte abwartend in Stille, bevor zögernd das Leben weiterging, die Mäuse wieder zwischen den Wurzeln umherhuschten und das erste zaghafte Flöten der gefiederten Waldbewohner einsetzte.
Seufzend stand Linn auf. Mit dem Ärmel wischte sie sich das Blut von der Wange, wo ein Stein sie getroffen hatte. Sie hatte die Chance verpasst, ihren Feind zu töten. Die Ausländer waren fort, bevor sie die Gelegenheit gehabt hatte, ihnen die wichtigste Frage zu stellen: Was hatten sie mit diesem Drachen zu tun?
Doch andere Sorgen waren erst einmal wichtiger. Wo war Tani hingelaufen? Hoffentlich fand sie ihn wieder – oder wenigstens eins der anderen Pferde, die vielleicht noch irgendwo in der Nähe waren. Immerhin waren auch die Tijoaner her geritten. Bis vor kurzem hatte Linn allerdings gedacht, sie müsste die drei Gäste des Königs vor dem Drachen retten.
Linn horchte. Der Gesang der Vögel hatte sich zu einem schluchzenden Gejaule verstärkt. Nein, das war … menschlich. Unverkennbar.
» Hallo?«, fragte sie laut.
Um sich durch das undurchdringliche Gestrüpp einen Weg zu bahnen, musste sie ihr Schwert zu Hilfe nehmen. Obwohl die Bäume ihre Blätter noch nicht entfaltet hatten, war es in diesem Wald mit dem dichten Astwerk viel dunkler als auf der Straße; da jetzt auch noch die Sonne mit einem letzten Aufleuchten hinter der Bergkette verschwand, konnte Linn kaum etwas erkennen. Sie folgte dem Geräusch, bis vor ihr etwas Helles im Dämmerlicht schimmerte.
Licht fiel durch die zerbrochenen Äste. Am Fuß des Baumes hockte wie ein Häufchen Elend das blonde Mädchen aus Tijoa, den weißen Pelz um die Schultern. Tränen liefen ihr über die Wangen und verschmierten die kunstvolle Schminke, mit der sie ihre Schönheit hervorgehoben hatte. Als sie die junge Drachenjägerin erblickte, weinte sie noch lauter.
Linn kniete sich neben Chamija auf den feuchten Waldboden und legte ihr die Hand auf die Schulter.
» Fräulein? Seid Ihr verletzt?«
Die Tijoanerin schniefte und wischte sich mit dem Handrücken übers Gesicht, wobei sie noch schmutziger wurde. » Ich kann nicht aufstehen«, heulte sie. » Und sie sind ohne mich fort!«
Linn sah am Stamm hoch. » Von da oben seid Ihr heruntergefallen? Wie gut, dass die vielen Äste den Sturz abgemildert haben. Ihr habt sehr viel Glück gehabt, wisst Ihr
Weitere Kostenlose Bücher