Die Drachenjägerin 2 - Winter, M: Drachenjägerin 2
sodass die Wagen umkippten und mitsamt ihrer Last versanken. Ein Knäuel aus Deichseln und Wagenrädern bildete einen Haufen am Ufer. Menschen schrien, flehten die Soldaten an und wurden trotzdem rücksichtlos weitergestoßen. Der Bach selbst schien nicht sehr tief zu sein. Ein alter Mann, ein kleines Kind auf den Schultern, ging aufrecht hindurch, das Wasser reichte ihm nicht höher als bis an die Brust. Triefende Gestalten stiegen auf der anderen Seite aus dem Wasser und zogen ihre Gefährten ans rettende Ufer.
Aber das Schlimmste war nicht die Szene am Bach, waren nicht die Menschen, die ihr Hab und Gut aufgeben mussten, wenn sie ihr Leben durchs Wasser hindurch retten wollten, sondern der Drache, der über dem Wald jenseits der Grenze kreiste. Ein Drache, der im Sonnenlicht funkelte wie ein fliegender Kristall – er hatte die Farbe einer Gewitterwolke, und genauso drohend hing er über den Wipfeln. Ein Feuerstoß entflammte die Baumkronen, und Geschrei ertönte, so laut, dass es bis hierhin zu hören war. Die Menschen am Bach kämpften, um auf dieser Seite zu bleiben, und hatten doch keine Chance gegen die Übermacht der Soldaten.
» Das muss aufhören!«, rief Linn. Sie preschte den Hügel hinab über das aufgeweichte Gras, dicht gefolgt von Okanion und den anderen. » Aufhören!«, rief sie. » Im Namen des Königs!«
Einige Soldaten drehten sich auf ihren Ruf hin um, und ein Offizier, erkennbar an seinem federbestückten Helm, trat ihnen entgegen.
» Ihr wünscht?«, fragte er kühl.
» Bei Arajas, dahinten ist ein Drache!«, schrie Linn. » Wie könnt Ihr die Leute dort hintreiben!«
» Die Drachen in Yan sind nicht unser Problem«, entgegnete der Mann. » Seit wir verhindern, dass Yaner in Schenn einfallen, bleiben auch die Ungeheuer drüben.«
» Einfallen?« Linn konnte kaum noch sprechen vor Wut. » Was soll das denn bitte schön heißen? Das sind Flüchtlinge!«
» Ich muss Euch bitten, Euch nicht einzumischen.« Der Offizier schien nach einem ruhigeren Gesprächspartner zu suchen, schrak vor Okanions entstelltem Äußeren zurück, scheiterte an Gunyas verächtlichem Lächeln und wandte sich schließlich an Dorwit. » Wir befolgen hier nur unsere Befehle. Wir kämpfen gegen die Drachen – auf unsere Weise. Ihr dürft nicht verkennen, dass wir damit unsere eigene Bevölkerung schützen. So viele Drachenjäger, wie wir andernfalls benötigen würden, gibt es gar nicht. Also lasst uns unsere Arbeit tun.«
» Befehlt Euren Männern sofort, damit aufzuhören«, rief Linn. Sie konnte immer noch nicht fassen, was sie hier mit ansehen musste, und umklammerte instinktiv ihr Schwert. Am liebsten hätte sie Okanions warnendes Kopfschütteln ignoriert, aber Gunya sagte leise: » Ihr mögt unschlagbar sein, was Drachen angeht – aber gegen hundert Soldaten seid Ihr machtlos. Bei Treas, lasst das Schwert stecken.«
Linn rang mühsam um Atem, während sie gegen ihre Wut ankämpfte. » Dann muss es eben der Drache sein.«
» He!«, rief der Offizier ihr nach, als sie Tani über die Wiese lenkte, ein Stück von den Flüchtlingen entfernt, dorthin, wo der Bach das einzige Hindernis zwischen den beiden Königreichen darstellte. » Das sind nicht unsere Drachen!«, rief er. » Ihr dürft nicht …«
Linn hörte ihn nicht mehr. Ihr war auch gleich, ob die anderen Drachenjäger ihr nachkamen. Auf gar keinen Fall würde sie zulassen, dass dieser Gewitterdrache den Wald abbrannte und über die Menschen herfiel.
Ja! Nach Norden! Über die Grenze. Ja, ja! Durch den Sturm hindurch.
» Wartet!«
Sie dachte gar nicht daran, aber am Wasser musste sie absteigen und den widerstrebenden Wallach dazu bewegen, ihr in den Bach zu folgen. Da hatten die anderen drei sie schon erreicht.
» Es kümmert mich nicht, auf welcher Seite der Grenze dieser Drache ist«, rief Linn.
» Wir haben nicht vor, Euch aufzuhalten, Ritterin Linnia«, sagte Okanion, der ebenfalls abstieg. » Wir kommen mit.«
Selbst Gunya schien ausnahmsweise nicht auf Linn wütend zu sein.
» Das ist eine Schande für Brahans Erben«, stieß sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. » Eine untilgbare Schande.«
Vielleicht war es von Vorteil, von Kopf bis Fuß durchnässt zu sein, wenn man einen Drachen angreifen wollte. Linn fühlte sich durch ihre nassen Kleider jedoch gehemmt und unbehaglich. Sie fror. Viel lieber hätte sie sich an einem behaglichen Feuer aufgewärmt, als gegen ein Ungeheuer anzutreten, doch die Wut hatte auch durch das kalte
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