Die Drachenjägerin 3 - Winter, M: Drachenjägerin 3
ihn am Arm packte und mit sich zog. » Ein gutes Ohr ist besser!«
Rinek versuchte gar nicht erst, den Kampf gegen acht Soldaten aufzunehmen, denn er war kein ausgebildeter Krieger. Die Flucht in den Keller blieb ihnen verwehrt, wenn sie nicht sämtlichen Verfolgern ihr Versteck offenbaren wollten, also traten sie den Rückzug an. Sie stürzten durch den Saal, lieferten den Soldaten ein Zickzack-Rennen um die Säulen herum und stolperten durch das große Eingangsportal, an dem die Handwerker arbeiteten, nach draußen in den Hof.
» Haltet sie!«, schrie jemand. » Eindringlinge! Feinde!«
Sie rannten so schnell sie konnten, aber von allen Seiten stürzten Soldaten auf sie zu. Trotzdem verspürte Rinek zu seinem eigenen Erstaunen keine Furcht. Es fühlte sich an wie ein großartiges Spiel, zu laufen, mit diesem herrlichen Bein, das ihn in großen Sprüngen vorwärtstrug, und der Gedanke durchzuckte ihn, wie es wäre, im Laufen zu sterben, vielleicht von einem Pfeil durchbohrt, denn für einen Moment war ihm die Vergänglichkeit von allem extrem bewusst. Hinter ihnen das Schloss mit dem beschädigten Portal, vor ihnen die großen Statuen, die ihm schon bei seinem ersten Besuch mit Yaro aufgefallen waren, diese riesigen Figuren, denen Köpfe oder Arme fehlten. Die Zeit schien einen Herzschlag lang stillzustehen, während er die Hand ausstreckte und an einen Riss im Marmorsockel legte – in diesem Augenblick war die ganze Welt nichts als ein Spiel der Götter, die mit ihren Figuren achtlos umgingen. Oder, dachte er wie in einem Rausch, bin ich eine Kugel, die über den Tisch rollt und gleich hinunterfällt? Wird Okanion die Rebellen anführen? Was können wir ausrichten gegen die Mächte, die über uns wie eine Gewitterwolke herrschen?
Fühlst du es auch?, wollte er Sion fragen, doch da blitzte es vor ihm silbergrün auf, und ein Drache riss ihn hoch und trug ihn in den Himmel.
Sie landeten draußen in den schneebedeckten Hügeln. Sion verwandelte sich und rollte durch den Schnee, hysterisch lachend, bis sie in einer Verwehung verschwand. Sie lachte immer noch, während sie Schnee um sich herum aufhäufte, das Gesicht gerötet von der Kälte und dem Vergnügen, und er dachte: O Arajas, ich könnte mich in sie verlieben. Ihm war, als ob sein Herz brannte. Wie ein Betrunkener warf er sich neben sie in den Schnee und starrte in den hellgrauen Himmel, der etwas Unentschiedenes, Schwebendes hatte, als könnte er sich nicht entscheiden, ob es schneien sollte oder nicht, ob die Wolken aufreißen sollten oder nicht, ob heute ein Tag zum Sterben war oder nicht.
Der Schnee durchnässte seinen langen Mantel.
» Frierst du nicht?«, fragte er.
» Ich hasse es, keine Kleider anzuhaben, danach«, meinte sie, aber in ihrem Gesicht war weder Hass noch Ärger, sondern ein Lächeln, das aus ihrem tiefsten Innern kam, ein verzücktes Lächeln, wie Rinek es sonst nur von einem Mann aus Brina kannte – dem Priester.
» Du siehst aus, als hättest du eine Vision gehabt«, sagte er und fragte sich gleichzeitig, ob nicht er vorhin zwischen den Statuen etwas Ähnliches erlebt hatte – doch war es schon eine Vision, um seine Sterblichkeit zu wissen? Ein Spiel der Götter, vielleicht. Ein Spiel, über das man lachen konnte oder weinen. Ihm war, als würde sein Herz brechen, weil er wusste, wie nah der Tod war. Eben schlich man triumphierend durchs Schloss und narrte seine Feinde, und gleich darauf durchbohrte einen die Klinge von jemandem, der weder schneller noch klüger war, sondern einfach nur mehr Glück hatte.
» Verwandlung«, flüsterte sie. » Verwandlung ist das Größte. Es ist unbeschreiblich. Wir waren schnell, weißt du, und es war unglaublich, die Stärke der Muskeln zu fühlen, wie das Herz pocht und die Lungen arbeiten … und dann fliegen! Fliegen! Was will man mehr? Was will irgendein Drache, wenn nicht das? Beides zu sein, Mensch und Drache und Drache und Mensch, bis einem schwindlig wird?« Sie beugte sich vor und küsste ihn. Ihre Lippen waren kalt und schmeckten nach Schnee. Schnee lag auf ihren Wimpern, blühte wie weiße Blumen auf ihrem Haar. Aber alles andere an ihr war überhaupt nicht kalt.
Rinek gab Sion seinen Mantel, obwohl sie behauptete, sie würde nicht so schnell frieren wie ein Mensch. Ihre bloßen Füße hinterließen zierliche Abdrücke im Schnee, während sie den nächsten Eingang hinunter ins Labyrinth suchten.
» Wir hatten Kleider aus Seide«, sagte sie. » Aus Drachenseide, gewebt und
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