Die Drachenjägerin 3 - Winter, M: Drachenjägerin 3
gesehen.«
Die Verschwörer zogen sich aus der Menge zurück, die immer noch gebannt verharrte, obwohl der Trauerzug längst weitermarschiert war. Sie waren zu siebt – drei alte Männer, zwei junge Kerle und zwei Frauen. Unbestrittene Anführerin war Mora, die Zauberin, bei der sie alle wohnten; schon seit vielen Jahren kümmerte sie sich um die drei unzertrennlichen Alten Kasidov, Borlin und Lireck, ehemalige Knappen, denen die Zeit nichts anhaben konnte, drei ständig streitende Greise, die einen manchmal wünschen ließen, früher zu sterben als sie. Auch Agga ließ es sich nicht nehmen, überall dabei zu sein, während sie überdies Moras Haus in Schuss hielt und den beiden jungen Männern vom Land den Kopf verdrehte.
Yaro war verlobt und leistete natürlich Widerstand, aber Rinek war ungebunden. Dafür sah er leider nicht ganz so gut aus, wie er sich ehrlich eingestehen musste. Auf seine langen schwarzen Haare, die er im Nacken zusammengebunden trug, war er schon immer stolz gewesen. Dazu war er groß und breitschultrig, und sein Gesicht hätte man vielleicht » kühn« und » irgendwie recht gut aussehend« nennen können. Aber das war eben nicht gleichbedeutend mit » unwiderstehlich attraktiv«. Gegen Yaro hatte einfach niemand eine Chance, aber das konnte Rinek seinem besten Freund nicht übel nehmen.
» Mir hat es wirklich in den Fingern gejuckt«, sagte er. » Am liebsten wäre ich hinzugesprungen, hätte den Sarg geöffnet, König Pivellius herausgezerrt und ihn auf die Beine gestellt.«
» Gesprungen?«, fragte Agga verächtlich und wies auf die Krücke und das Holzbein. Offenbar hatte sie sich schon von ihrer Trauer um den vermeintlich toten Herrscher erholt. » Das will ich sehen.«
» Oh, ich könnte dir so einiges zeigen«, meinte Rinek munter, » noch viel beeindruckendere Dinge als den Sprung eines einbeinigen Mannes.«
» Hört auf, Kinder«, befahl Lireck mit belegter Stimme. » Jetzt ist nicht die Zeit zum Scherzen. Wir haben noch viel zu tun.«
Rinek lächelte ungläubig. Der Alte hatte ebenfalls gerötete Augen. Wieso weinten sie alle um einen Mann, der nicht zu ihrer Familie gehört hatte – und der außerdem nicht einmal richtig tot war?
» Seid ihr traurig, weil Pivellius so jung war?«, erkundigte er sich. » Sich vorzustellen, dass er in diesem Sarg liegt, obwohl seine Haare noch nicht weiß sind, bloß grau, keine hundert Jahre alt …«
» Seid still, Herr Rinek«, befahl Borlin. » Das ist unser König. Euch in der hintersten Provinz bedeutet das vielleicht weniger, aber wir haben hier mit ihm gelebt. Er war ein guter Herrscher, einer der besten.«
» Es gibt keine guten Könige«, murmelte Rinek verdrossen.
Seine Erfahrungen mit der Ungerechtigkeit der Obrigkeit behielt er meist lieber für sich. Nicht, weil er sich dafür schämte, dass er ganze Monde im Gefängnis verbracht hatte, sondern weil er wusste, dass die meisten seine Wut auf den Adel nicht nachvollziehen konnten. Ungerechte Steuereintreiber, Fürsten, die junge Männer aus ihren Familien herausrissen, um sie in aussichtslose Eroberungsschlachten zu schicken – das waren für die Menschen entweder Einzelfälle oder notwendige Übel und hinderte die wenigsten daran, den König, den von den Göttern auserwählten Erben des Heiligen Brahan, rückhaltlos zu verehren. Die Leute fanden es normal, unter der Willkür der Höhergestellten zu leiden, denn so hatten die Götter die Welt eingerichtet.
Rinek dagegen verzieh nicht so schnell. Derselbe König, den sie hier retten wollten, hatte schließlich seine Schwester aus der Stadt geworfen. Linnia, die beste Drachenjägerin der Garde … Oder hatte der Prinz das als Hauptmann der Drachenjäger entschieden? Es spielte keine Rolle. Natürlich konnte niemand begreifen, warum Linn sich auf die Seite eines Drachen gestellt hatte – auch Rinek verstand es nicht, zumal es hieß, es sei ein rotes Ungeheuer gewesen. Zu gut erinnerte er sich daran, dass ein flammend roter Drache sein Dorf niedergebrannt hatte, dass er ihm seine Behinderung verdankte … Entweder hatte man Linn verleumdet, oder sie hatte ihre Gründe. Gute Gründe, daran glaubte er fest. Ein gerechter Herrscher hätte sie wenigstens danach gefragt!
Die Betroffenheit, die sich von der Menschenmenge auf die Freunde übertragen hatte, ließ merklich nach, während sie auf ihr Heim zuhielten. Die drei Greise begannen, Scherze darüber zu machen, wer wohl als Nächster im Sarg liegen würde.
» Du, Kasidov«,
Weitere Kostenlose Bücher