Die Drachenkämpferin 01 - Im Land des Windes
nicht ernst. Nach zehn Stunden aber tauchten zwei Wachen bei ihr auf und versuchten, sie hinauszuschleifen. Doch Nihal ließ sich keinen Fingerbreit fortbewegen: ein kurzes Scharmützel, und die beiden mussten unverrichteter Dinge wieder abziehen. In der Folgezeit trat immer mal wieder jemand zu ihr und wagte einen erneuten Versuch, doch das Ende der Geschichte blieb sich immer gleich: Ein paar Schwertstreiche, und die Wache war entwaffnet.
Nach dem vierten Versuch wurde es Nihal zu bunt: An einer Seite des Saales stand eine mächtige Kriegerstatue, und mit einem Satz schwang sie sich nun auf deren Fuß und kletterte behände bis zu dem großen Kopf hinauf. Dort oben konnte sie niemand mehr stören.
Kurz vor Mitternacht tauchte Raven auf. »Nun, Mädchen, immer noch nicht müde? Gut, wir werden sehen, was geschieht, wenn du Hunger bekommst.«
»Nein, Ihr werdet sehen! Und zwar zu was ich fähig bin, wenn ich einmal einen Entschluss gefasst habe!«
Tatsächlich aber war die Sache mit der Verpflegung ein echtes Problem, denn schon seit einer Weile knurrte ihr der Magen. Um den Hunger zu vergessen, lehnte sich Nihal gegen die Wand, zog die Beine an, umschlang sie mit den Armen und döste ein. Ein seltsames Geräusch weckte sie. Rhythmisch, stetig.
Misstrauisch blickte sie sich um in dem düsteren Saal. Und dann sah sie ihn, einen jungen Falken, aus dem Nichts aufgetaucht, der zwischen den Säulenreihen der Längsschiffe entlangschwebte.
Nihal rieb sich die Augen, doch der Falke verschwand nicht. Ganz im Gegenteil flog er jetzt auf sie zu, und als er über ihr war, ließ er ein Bündel in ihren Schoß fallen, um gleich darauf so plötzlich zu verschwinden, wie er gekommen war.
Das Mädchen knüpfte das Tuch auf und fand darin: Brot, Käse, Obst, eine kleine Flasche Wasser. Und ein beschriebenes Blatt, darauf stand:
Sei gegrüßt, du große Kriegerin!
Als ich von deiner kleinen Auseinandersetzung mit dem obersten General erfuhr, habe ich mich fast totgelacht. Wenn ich mir sein verdutztes Gesicht vorstelle ... Auf alle Fälle sollst du wissen, dass ich auf deiner Seite stehe: Halte durch und erobere dir deinen Platz!
Dein angebeteter Fen war zwar mächtig verdattert, aber auch sehr beeindruckt von deinem Auftritt. Ich schreibe dir das, weil ich weiß, dass du immer noch mächtig in ihn verknallt bist und dich darüber freuen wirst. Soana hat gar nichts dazu gesagt, aber es war zu merken, wie wenig sie der Sache abgewinnen konnte. Was willst du machen, nur ich alleine verstehe dich eben ...
Da man dich wahrscheinlich aushungern will, schicke ich dir ein paar Kleinigkeiten, um die Belagerung durchzuhalten.
Guten Appetit und gute Nacht wünscht dir dein Zauberer.
Anstelle einer Unterschrift fand sich unter der Nachricht die nette kleine Zeichnung eines Zauberers. Nihal musste lächeln und war ihrem Freund sehr dankbar. Und noch dankbarer wäre sie ihm gewesen, hätte sie gewusst, dass sich Sennar zu diesem Zeitpunkt eigentlich um andere, für ihn wichtigere Dinge zu kümmern hatte. Am selben Tag, da Nihal bei Raven war, hatte Soana dem Rat der Magier ihre Pläne unterbreitet. Zu ihrer Überraschung hatte die Mehrheit der Mitglieder versucht, sie von ihren Rücktrittsgedanken abzubringen. Doch Soana war unerschütterlich geblieben: Immer wieder betonte sie, dass sie sich nicht mehr in der Lage fühle, ihre Aufgaben wahrzunehmen, und dass sie die Suche nach Rais zum jetzigen Zeitpunkt für sehr viel wichtiger halte. Und als ihren Nachfolger schlug sie dann ihren besten Schüler vor. Die Versammlung reagierte mit fassungslosem Gemurmel, und Dagon, das älteste Mitglied, bat sofort, mit ihr unter vier Augen sprechen zu können.
»Sennar ist zu jung, Soana«, sagte er. »Zweifellos sind seine magischen Fähigkeiten beachtlich, das möchte ich gar nicht bestreiten, doch er ist noch nicht so weit. Er muss noch reifen. Ihm bleibt ja alle Zeit der Welt, um ein großer Magier zu werden und dem Rat dann nach besten Kräften zu dienen. Du weißt doch sehr gut, dass sich die überstürzte Aufnahme eines neuen Mitglieds als fatal erweisen kann.« Doch Soana ließ nicht locker. »Er selbst mag ja noch Zeit haben. Die Aufgetauchte Welt aber nicht mehr. In der jetzigen Situation sind wir gezwungen, alle uns zur Verfügung stehenden Kräfte in die Waagschale zu werfen, und du wirst sehen, Sennar ist ein Trumpf für uns. Der andere Trumpf ist die junge Halbelfe: Daher bitte ich dich, Sennar in euren Kreis aufzunehmen und mich auf
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