Die Drachenkämpferin 02 - Der Auftrag des Magiers
den Blick in das Unterholz gerichtet, auf den Boden. »Schlaf du nur, ich halte die erste Wache. Es ist besser, wenn wenigstens einer von uns die Augen offen hält. Lass dir das von einem erfahrenen Krieger sagen.«
Am Morgen des dritten Reisetages merkten Nihal und Sennar, dass sie ihrem Ziel nahe waren. Noch bevor sie die Wasserfälle erblickten, vernahmen sie lautes Getöse. Dann sahen sie eine riesengroße Wasserwolke mit einem Regenbogen darüber. Je näher sie kamen, desto klarer traten die Nael-Wasserfälle in ihrer ganzen Erhabenheit aus der feuchten Luft hervor. Mindestens hundert Ellen tief stürzten die Wassermassen herab und teilten sich in drei Hauptströme, die sich an den Felsen brachen und selbst wieder und wieder unterteilten, in einem Wassernetz, das kein Ende zu haben schien. Nihal wurde einen Moment lang ganz schwindlig, als sie darüber flogen. Und sie fragte sich, wie Rais dort wohl leben konnte. Vor allem aber, wo sich ihr Heim befinden mochte. Soana hatte von einem Fels inmitten des Wasserfalls gesprochen, doch die Gischt war zu dicht, um etwas erkennen zu können. Eine Zeit lang flogen sie auf der Suche nach einem Lebenszeichen über den Wasserfällen hin und her, ohne jedoch irgendetwas Menschliches zu entdecken. Dieses Gebiet war ein unumschränktes Reich der Natur.
»Ja, natürlich«, rief Nihal plötzlich. Sie drehte sich zu Sennar um. »Es muss dahinter sein!« »Wo dahinter?«, brüllte Sennar zurück.
»Na hinter dem Wasserfall. Ihr Haus muss hinter dem Wasser sein. Es gibt keine andere Erklärung!«
»Du willst doch nicht etwa ...«, konnte Sennar gerade noch sagen, da schössen sie schon in voller Fahrt auf das Wasser zu. Dem Drachen schien es Spaß zu machen, und auch Nihal kreischte vor Vergnügen. Sennars Schreie hingegen waren solche reinen Entsetzens.
Einen kurzen Augenblick hatte es den Anschein, als würden sich alle Fluten der Welt auf sie stürzen, aber gleich darauf befanden sie sich in einer riesengroßen Grotte, die sich in der Bergflanke öffnete. Oarf flog noch ein Stück hinein und landete dann auf einer Felsplatte. Bis auf die Haut durchnässt und mit pochendem Herzen stiegen Nihal und Sennar ab und blickten angestrengt in das Halbdunkel. Sie befanden sich im Innern des Berges, und die herabstürzende Wasserwand war so weit entfernt, dass ihr Getöse schon gedämpft klang.
Sennar entdeckte sie als Erster. »Wie hat man die denn bauen können?«, murmelte er, während er auf eine Hütte aus dunklem Holz deutete, die sich vielleicht zehn Ellen über ihnen an einen Felsvorsprung klammerte. »Und wie sollen wir dort hinaufkommen?«
»Ich wüsste schon, wie ...«, antwortete Nihal, »aber du darfst dich nicht so anstellen.« Nihal trat auf Oarf zu und flüsterte ihm etwas ins Ohr, woraufhin sich der Drache auf die Hinterbeine stellte und zu voller Größe aufbaute. Nihal kletterte auf seinen Rücken, dann seinen Hals hinauf und erreichte schließlich seinen Kopf, von wo aus sie, unter Sennars entgeistertem Blick, lossprang und sicher auf dem Felsvorsprung landete.
»Hast du gesehen?«, rief sie mit einem zufriedenen Lächeln Sennar zu.
»Kompliment. Aber wenn du glaubst, ich würde es dir nachtun ...«
»Brauchst du gar nicht«, antwortete Nihal. »Schließ einfach die Augen, und vertrau mir.« Sennar gehorchte mit einem Seufzer. Da packte ihn Oarf behutsam mit den Zähnen an seinem Kittel und hob ihn hoch.
»He!«
»Lass die Augen zu«, rief Nihal vergnügt. »Das bekommt dir besser, glaub mir.« Als der Drache ihn auf festem Grund absetzte, warf Sennar Nihal einen tadelnden Blick zu, doch sie hatte sich bereits umgedreht, um sich die Hütte genauer anzusehen.
Im Innern war es dunkel, und noch bevor sie etwas erkennen konnte, meldete sich ihr Geruchssinn: In der Hütte vernahm sie die verschiedensten Gerüche - Kräuter, Rauch, Schimmel und feuchtes Papier-, die bei Nihal in ihrer Gesamtheit ein Gefühl des Ekels hervorriefen. Langsam gewöhnten sich ihre Augen an das schwache Licht, und sie erkannten, dass sie in einem größeren Raum standen, der vollgestopft war mit den verschiedensten Dingen. An den Wänden standen Regale voller Bücher, die alle die gleiche vermoderte Farbe aufwiesen. Darunter dünnere mit leichten Einbänden, aber auch schwere Bände mit Metallbeschlägen an den Rändern, an denen der Rost nagte.
Einige Regalbretter waren zerbrochen, und Bücher lagen haufenweise durcheinander, so wie sie gefallen waren, am Boden, mit dem Rücken nach
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