Die Drachenkämpferin 03 - Der Talisman der Macht
die Lippen zu einem rätselhaften Lächeln, das jedoch im nächsten Augenblick so schnell erlosch, wie es gekommen war. »Wer bist du?«, fragte die Frau.
Unwillkürlich antwortete Nihal mit zittriger Stimme: »Ich bin Sheireen.«
»Sheireen tor anakte?«
Nihal war verwirrt. »Sheireen, ich bin Sheireen und komme in friedlicher Absicht«, stammelte sie.
Die Frau schwieg einen Moment. »Wem bist du geweiht?«, fragte sie dann in einer Nihal verständlichen Sprache.
»Shevrar. Ich bin Shevrar geweiht.«
Die Miene der Frau schien sich aufzuhellen. »Shevrar, der Gott des Feuers und der Flammen, aus denen alles gezeugt ward, aber auch der Gott jener Glut, die alles zerstört. Durch Ihn entsteht alles, durch Ihn stirbt alles. In den Schmiedefeuern jener Vulkane, die Ihm geweiht sind, wird die todbringende Klinge für den Krieg geschmiedet, doch der Schein Seines Feuers schenkt auch all jenen Leben und Wärme, die Ihn lieben. Leben und Tod, Anfang und Ende sind in Ihm.«
Nihal hörte zu, verstand aber nicht.
»Und dieser dort?«, fragte die Frau. »Wer ist dieser Unreine in deiner Begleitung?« »Ich bin Sennar«, antwortete der Angesprochene mit fester Stimme, »Mitglied im Rat der Magier.«
Die Frau starrte ihn einen Moment lang an, und plötzlich bewegten sich zwei Zipfel ihres Gewandes auf Sennar zu, wurden immer länger, wanden sich um seine Arme und Beine und fesselten ihn. »Du hättest dich nicht bis hierher vorwagen dürfen. Deine unreinen Füße sind nicht würdig, den Boden meiner Wohnstatt zu berühren.« Sennar versuchte, sich zu bewegen, doch obwohl es nur Wasser war, das ihn festhielt, gelang es ihm nicht.
»Lass ihn frei! Ich bin es, an die du dich wenden musst. Er hat mich nur auf meiner Mission begleitet«, rief Nihal.
Die Frau schwieg eine Weile, während ihr prüfender Blick auf Nihal ruhte. »Ich spüre etwas Finsteres in dir, etwas, das einer Geweihten nicht zu eigen sein dürfte.« Nihal war sich darüber im Klaren, nicht vollkommen rein zu sein, denn sie wusste, wie stark der Hass war, den sie auf den Tyrannen verspürte. »Ich bin nicht vollkommen und vielleicht auch nicht würdig, deine Kräfte zu erhalten«, erklärte sie. »Aber das Schicksal hat es so gewollt, dass es mir als Einziger gelingen kann, die acht Edelsteine zusammenzubringen. Nicht für mich bitte ich dich, sondern für alle, die unter der Tyrannei leiden: Für sie musst du es tun. Es ist ihre letzte Hoffnung, eine Hoffnung, die ich ihnen nicht versagen will. Und ich hoffe, auch du wirst dies nicht tun.«
Nihal spürte, wie der forschende Blick dieses Geschöpfes bis in ihre Seele vordrang, und hoffte, dass ihm all das Dunkle, das dort zu finden war, verborgen blieb. Plötzlich lächelte die Frau versöhnlich. »So sei es, Sheireen, ich habe verstanden, um was du mich bittest, und habe in deine Seele geblickt. Ich weiß, dass du die Macht nicht missbrauchen wirst.«
Die Frau ließ die Auswüchse ihres Wassergewandes wieder zurückschnellen, und Sennar war frei, dann führte sie eine Hand zu ihrem Gesicht, riss sich ein Auge aus der Höhle und reichte es Nihal. Die Halbelfe nahm den Edelstein entgegen. Er war glatt und glitzerte in einem blassblauen Licht. Die schäumenden Fluten des Saar schienen in ihm eingeschlossen zu sein.
»Sheireen, du stehst erst am Anfang. Viele, viele Meilen wirst du noch zurücklegen müssen und nach mir andere Wächter treffen. Sei auf der Hut, denn nicht alle werden so wie ich sein. Sie werden sich dir in den Weg stellen. Nun aber liegt bereits eine enorme Macht in deiner Hand. Missbrauche sie nicht, sonst werde ich selbst es sein, die dir nachstellt, um dich zu töten. Mögen dir die Schritte immer leichtfallen auf deinem Weg, und möge dein Herz jenes Ziel erreichen, nach dem es strebt. Und nun tue, was du zu tun hast«, schloss die Frau.
Nihal nahm den Edelstein fest in die Hand und fügte ihn in die passende Vertiefung ein. »Rahhavni sektar akero«, murmelte sie.
Da begannen die Wasser zu sprudeln, aus denen das Heiligtum errichtet war, die Wände zerflossen, die Türmchen lösten sich auf, und auch die Frau wurde in den sich bildenden Strudel hineingezogen. Einen Augenblick lang sah es so aus, als wollten die gewaltigen Wassermassen auf Nihal einstürzen. Doch dann flössen sie alle in dem Edelstein zusammen.
Die Halbelfe schloss die Augen, und als sie sie wieder öffnete, waren um sie herum nichts als Nebel und Sümpfe.
Hinter sich hörte sie einen Seufzer der Erleichterung,
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