Die Drachenkämpferin 03 - Der Talisman der Macht
schleppten sie sich den ganzen Morgen vorwärts. Bei jedem Schritt sank Sennar bis zu den Knien im Schlamm ein. Dann endlich lichtete sich der Nebel, und sie erblickten etwas am Horizont. Zunächst glaubte Nihal, ihr Fieber sei weiter angestiegen und spiegele ihr eine Erscheinung vor. Sie sah, wie ein Bauwerk aus dem Nebel auftauchte, das aber frei im Nichts zu schweben schien. Je näher sie kamen, desto sicherer fühlte sie, dass sie ihrem Ziel ganz nahe waren.
»Das muss es sein«, sagte sie. »Vielleicht haben wir ja Glück.«
Das Bauwerk schien nicht mehr weit entfernt, und doch mussten sie sich noch lange durch den Sumpf kämpfen, bis sich irgendwann die Umrisse klarer abzuzeichnen begannen. Es war ein mit zahllosen Spitzen und Türmchen verziertes Bauwerk von der Farbe kristallklaren Wassers.
Vor dem Palast angekommen, blieben sie stehen. In der Mitte der Fassade öffnete sich ein spitzbogiges Tor; die Mauern wirkten wie eine riesengroße Stickerei, durch deren Öffnungen das Licht ein- und austrat. Mehr noch aber verblüffte das Material, aus dem der Palast gefertigt war: Wasser. Das Wasser stieg von den Sümpfen auf und bildete die Mauern, umspülte sprudelnd die Fialen und stürzte dann wasserfallartig herab, um das Tor zu formen. Wasser, es war aufsteigendes und herabfallendes Flusswasser, aus dem der ganze Palast bestand.
Nihal streckte die Hand aus, um ihn zu berühren, und ihre Finger durchdrangen die Mauern und wurden vom Wasser umspült. Sie zog die Hand zurück und legte sie an ihre Wange: Sie war nass.
»Welch ein Wunderwerk«, murmelte Sennar.
Das Mädchen hob den Blick und bemerkte über dem Tor einen Schriftzug in eleganten, verschnörkelten Buchstaben: »Aelon«. »Lass uns hineingehen«, forderte sie den Magier auf.
Sie zog das Schwert und überschritt die Schwelle. Vorsichtig blickte Sennar sich um und folgte ihr.
Auch der Fußboden war aus Wasser, trug aber dennoch ihr Gewicht. Das Innere war vollkommen leer. Hatte der Palast von außen nicht übermäßig groß gewirkt, so vermittelte er nun einen völlig anderen Eindruck. Sie erblickten einen langen Gang, in dem nichts war außer dem Plätschern des Wassers, das von den Wänden widerhallte. Der Korridor schien keinen Anfang und kein Ende zu haben und verlor sich in der Finsternis.
Nihal witterte Gefahr und umfasste noch fester das Heft ihres Schwertes. Sie warf einen Blick auf das Medaillon: Der mittlere Edelstein strahlte in seiner Fassung. Am Ende des Ganges, wo sich wahrscheinlich der gesuchte Stein befand, war nichts zu erkennen. Nihal ging vor, und Sennar folgte ihr. So liefen sie eine Weile, bis die Halbelfe plötzlich stehen blieb.
Sennar blickte sich um. »Was ist denn los?«, fragte er.
Nihal antwortete nicht. Ihr war, als habe sie eine Stimme gehört oder ein Lachen.
Sennar ließ seine Hand aufleuchten, um jederzeit mit einem Zauber eingreifen zu können.
»Ich dachte, ich ...« Erneut spitzte Nihal die Ohren, hörte jetzt aber nichts anderes mehr als das Rauschen des Wassers. »Doch ich hab mich wohl getäuscht.«
Sie liefen weiter. Das Rauschen wurde immer leiser, bis es ganz verklungen war. Nihal hätte nicht sagen können, wie weit sie bereits in das Innere des Heiligtums vorgedrungen waren. Jetzt blieb sie stehen und ließ das Schwert sinken. In diesem Moment tauchten plötzlich unzählige Gesichter auf der flüssigen Wand auf, reckten sich den beiden entgegen und vergrößerten sich dann zu den ätherischen Körpern junger Mädchen. Man hätte sie für Nymphen halten können, wäre da nicht dieses bösartige Funkeln in ihren Augen gewesen. Sennar und Nihal drückten sich aneinander. Die Halbelfe hob ihr Schwert und versuchte, die Wesen zu treffen, doch sie waren aus Wasser, und die Klinge durchdrang sie, ohne irgendwelche Spuren zu hinterlassen.
Plötzlich hörten sie ein Geräusch hinter sich. Nihal umklammerte ihr Schwert, drehte sich um und sah, wie aus der Wasserwand eine Frau, gleichfalls aus Wasser, hervorzutreten begann. Zunächst ihr Gesicht, aus dem die Augen sich mit einem eiskalten, bösen Blick auf die beiden Besucher richteten, dann tauchten Schultern, Brüste, schließlich Unterleib und Beine auf.
Die Frau wurde immer größer, bis sich ihre gigantische Gestalt mächtig über Nihal und Sennar aufbaute. Sie war majestätisch und wunderschön, und ihre vollkommenen Gesichtszüge strahlten eine Furcht einflößende Kraft aus.
Das Schwert in Nihals Hand zitterte.
Ganz plötzlich öffnete die Frau
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