Die Drachenperle (German Edition)
und schwach, als der Winter zu Ende war. Und plötzlich kitzelte es in meinen Handflächen , und dann sah ich Grünlinge, lauter kleine Pflanzen waren aus der Saat entstanden. Arik wies mich auf den Lichtschimmer hin, der meine Hände umfloss. Ich hielt die Saatkörner für Zaubersaatgut, aber Arik meinte, ich selbst hätte das zuwege gebracht. Und einmal habe ich mit goldenem Licht einen verletzten Vogel geheilt, der auf meiner Hand saß.“
Er runzelte angestrengt die Stirn, etwas stimmte daran nicht ganz.
„Aber ich glau be, das war in einem Traum. Doch erinnern kann ich es, als wäre es echt gewesen. Nun ja, und in der kalten Jahreszeit habe ich den Alten unter den Sklaven die Hände auf ihre Gelenke gelegt, das hat deren Schmerzen gelindert. Das habe ich schon als kleiner Junge getan, ohne groß darüber nachzudenken.“
„Und du bist dir sicher, dass es nicht nur Sprossen waren, sondern wirklich grüne Blätter?“
Taiki nickte. „Darf ich jetzt weiteressen?“
„Nein!“
„ Nein ?“
„Nein. Jolim! Komm her und bring etwas Saatgut mit. Mach schnell!“
Der Diener beeilte sich, dem Befehl nachzukommen. Er wusste, wenn Mareika diesen ungeduldigen Ton anschlug, war es besser , sie sofort zufriedenzustellen, sonst würde sie den ganzen Tag lang nörgeln und granteln. Schnaufend kam er mit einer Handvoll getrockneter Bohnen und Erbsen zurück aus dem Gartenschuppen, wo er das Saatgut aufbewahrte.
„Hier, Herrin.“
„Gib es Taiki in die Hand.“
Jolim bemerkte, dass sie nicht „dem jungen Herrn in die Hand“ gesagt hatte, wie es vor einem Diener angemessen wäre. Daraus schloss er, dass sie viel zu aufgeregt war, um Förmlichkeiten zu beachten. Aus seiner langen Erfahrung mit ihr wusste er, dass das etwas Gutes oder Schlechtes bedeuten konnte. Je nachdem. Auf jeden Fall tat sich hier gleich Großes.
„Nun zeig was du kannst.“ Sie nickte ihrem Urenkel aufmunternd zu.
Taiki war sich gar nicht sicher, ob er das Ereignis von damals wiederholen konnte. Vielleicht war es ja doch ein einmaliges Wunder gewesen? Aus der Not geboren , im wahrsten Sinne des Wortes . Nun, es war einen Versuch wert. Er legte seine Hände um die Saat, schloss die Augen und entspannte sich. Dann rief er konzentriert innere Bilder hervor, so wie damals. Er sah vor seinem geistigen Auge wie Keime aus der fetten, schwarzen Erde hervorkrochen, sie reckten sich der wärmenden Sonne entgegen, voller Lebenskraft und -willen. Blätter bildeten sich aus, aus dem Weißgelb des Keimlings wurde ein helles Grün, dann ein sattes, dunkleres Grün und er fühlte wie damals Vorfreude auf gute Nahrung, die er mit Dankbarkeit verzehren würde. Ein breites, zufriedenes Lächeln legte sich über sein Gesicht, als er in seinen Handflächen ein deutliches Kitzeln fühlte. Er ließ die Grünlinge auf den Tisch fallen und schaute sich Beifall heischend um.
Mareika haute erfr eut mit der Hand auf den Tisch.
„Jolim! Bring ihn morgen Mittag zu mir, ich bereite mich auf die Übertragung vor und ziehe mich zurück. Ich will von niemandem gestört werden! Er kann jetzt weiteressen.“
Sie ließ den verwirrten Taiki im Esszimmer zurück. Wieso war sie nicht über die Maßen erstaunt, so wie Arik und die anderen es damals waren? Bekam er nicht mal ein Lob? Keine Bewunderung? Der Appetit war ihm nun vergangen und er machte ein langes Gesicht.
Der Diener nahm sich die Freiheit, seinem jungen Herrn väterlich aufmunternd auf die Schulter zu klopfen.
„So ist sie nun mal. Gewöhnt Euch beizeiten daran.“
Ratsherr Ulf war misstrauisch. Am frühen Nachmittag des heutigen Tages hatte er erneut die halsstarrige Älteste aufgesucht , um sie daran zu erinnern, dass der Tradition zufolge in drei Tagen auf dem Marktplatz der neue Meisterschüler ernannt werden musste. Mareika hatte ihn angelächelt, sanft wie ein Lamm, was für sich allein schon sehr verdächtig war. Selbstverständlich würde sie zugegen sein. Der Meisterschüler würde seinen ihm zustehenden Platz einnehmen können. Auch sei sie zur Machtübertragung bereit. Sie wolle dem sicheren Fortbestand der ehrwürdigen Tempelschule nicht länger im Wege stehen.
Als er das Haus verließ und über den unerwarteten Gesinnungswandel der alten Magierin nachdachte, fiel ihm ein neues Gesicht auf. Offenbar gab es jetzt hier einen Gärtnerburschen. Naja, Jolim wurde ja auch langsam zu alt für die viele Arbeit. Erstaunlich, dass Mareika, die sowohl für ihren Reichtum als auch für ihren Geiz
Weitere Kostenlose Bücher