Die Drachenschwestern
sie vor lauter Arbeit nicht zum Aufräumen gekommen.
Sie grinste in Gedanken. Besser gesagt war ihr das eine willkommene Ausrede
gewesen, nicht zu viel aufräumen zu müssen. Sie war noch nie ein
Ordnungsfanatiker gewesen. Einzig die Küche und das Bad hielt sie peinlich
sauber. Die panische Suche nach ihren Unterlagen an besagtem Morgen und ihre
darauf folgende überstürzte Abreise danach hatten das übrige zur nun
herrschenden Unordnung beigetragen. Sie seufzte. Lance streckte den Kopf durch
die Küchentür.
Der Drache hatte es sich nach seiner kurzen, unautorisierten
Wohnungsinspektion und seiner penetranten Fragerei wohl draußen gemütlich
gemacht, wie Kaja schmunzelnd feststellte.
Jetzt sah er sie belustigt an und fragte: „Hast du die Seufzerbrücke
von Venedig in deine Wohnung verpflanzt?“
„Wieso?“
„Weil ich seit einer Viertelstunde bis auf deine Seufzer, die du in
regelmäßigen Abständen von dir gibst, nichts höre. Ich muss schon sagen,
ziemlich störend, wenn man versucht, ein Nickerchen zu machen.“
„Tja, dann schau dich
doch hier einmal um, diese Unordnung!“
Der Drache zuckte nur verständnislos die Schultern. „Ich finde es hier
sehr heimelig, fast schon wie in meiner Höhle.“
Sie blickte ihn finster an. „Ich hause aber im Gegensatz zu dir nicht
in einer Höhle! Und wenn ich bis gerade eben noch unschlüssig hin und her
überlegt habe, ob ich heute noch aufräumen soll, hast du mir eben das
schlagende Argument geliefert, weshalb ich sofort damit anfange sollte. Danke
auch vielmals!“
Mit Staubsauger, Putzlappen und Abfallsack bewaffnet machte sie sich
unverzüglich ans Werk. Aus den Lautsprechern ihrer Stereoanlage dröhnte in
voller Lautstärke „Mano Negra“, ihre favorisierte Putzmusik. Sie konnte von
Glück reden, hatte sie keine direkten Nachbarn. Die Wohnungen über ihr dienten
zwei Architekten als Planungsbüros und standen deshalb das ganze Wochenende über
leer. Lance flüchtete vor so viel Arbeitseifer wieder in den Garten, während
sich Zorro unter dem Sofa verkroch. Sie war gerade dabei, die Papierwüste auf
ihrem Schreibtisch zu sortieren und auszumisten, als ihr plötzlich ein Zettel
mit Frédérics Handschrift in die Hände fiel. Sie stutzte. „SuperMan77!“, das
war wahrscheinlich eines seiner für ihn höchst typischen Passwörtern, die Frage
war bloss, zu welchem Gerät oder Programm es gehörte. Und wieso hatte er es
aufgeschrieben? Sie runzelte die Stirn. Momentan ergab das für sie wenig Sinn.
Sie drehte den Zettel um und entdeckte ein Datum, den 28. September 2012. Das
war in drei Wochen, überlegte sie. Dann folgten noch ein Name, der ihr nichts
sagte, und eine Telefonnummer. Sie drehte den Zettel zwischen ihren Fingern hin
und her, und überlegte, was sie damit machen sollte. Schließlich beschloss sie,
ihn erst einmal in ihrer Hosentasche sicher zu verwahren. Vielleicht nützte er
ihr ja irgendwann noch einmal.
Zwei Stunden später lag Kaja erschöpft in der heißen Badewanne und
verspeiste genüsslich die Reste des kalten Pizzabrotes, welches ihr Mémé als
Proviant eingepackt hatte.
Zufrieden lehnte sie sich zurück und genoss den aromatischen Duft von
Mémés Badeöl. Eigentlich muss ich Lance dankbar sein, beschloss sie. Jetzt habe
ich wenigstens wieder eine gemütliche und saubere Wohnung. Sie ließ sich noch
etwas tiefer ins Wasser sinken und begann sich gerade ein wenig zu entspannen,
als die Luft bläulich anfing zu schimmern. Das durfte doch wohl nicht wahr sein!
Lässig lehnte der Drache am Waschbecken und wich ungerührt dem Waschlappen aus,
den sie nach ihm warf.
„Raus mit dir. Ich will jetzt meine Ruhe haben. Du hast hier nichts zu
suchen! Wie machst du das überhaupt, immer in geschlossenen Räumen
aufzutauchen. Egal, jetzt gehst du auf jeden Fall wieder!“
Sie stieg aus der
Wanne, wickelte sich behelfsmäßig in ein Badetuch und öffnete die Tür.
„Raus jetzt, bevor
ich wirklich wütend werde.“
Brummelnd zog Lance ab, sah jedoch ein, dass er wohl einen etwas
unpassenden Moment gewählt hatte. Er hatte ganz vergessen, wie heikel weibliche
Wesen mit ihrer Badezimmerzeit waren. Fluchend trocknete sich Kaja ab, bürstete
ihre Haare mit unsanften Strichen und cremte sich hastig ein. So viel zur
Entspannung, dachte sie gereizt. Sie schlüpfte in einen frischen Pyjama und
putzte sich die Zähne. Jetzt wollte sie nur noch schlafen. Inzwischen war sie so
müde, dass ihr ganzer Körper schmerzte. Barfuß tapste sie in ihr
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