Die Drachenschwestern
„Was habt ihr eigentlich mit den geraubten Jungfrauen
gemacht? Gefressen?“
„Gefressen?
Drachen sind doch keine Kannibalen“, gab Lance entrüstet zurück.
„Was habt ihr denn sonst mit ihnen gemacht? Wozu der ganze Aufwand?“,
wollte sie irritiert wissen.
„Schon mal versucht, eine Drachenhöhle sauber zu halten?“ Lance
schüttelte den Kopf. „Ich sage dir, das ist eine schreckliche Arbeit. Die
Jungfrauen haben für uns geputzt, gewaschen und gekocht.“
„Also Sklaverei!“
„Dafür waren sie gut beschützt“, rechtfertigte er sich, „und sie
mussten sich nicht mit all diesen aufdringlichen Prinzen herumschlagen.“
„Na ja, lassen wir
das, wie macht ihr das heute?“
„Wie meinst du
das?“
„Ich denke mal,
dass die Auswahl an Jungfrauen heute nicht mehr so groß ist.“
„Ja ja, die
Kriterien werden heutzutage nicht mehr ganz so streng ausgelegt…“
„Hauptsache, sie kann kochen, oder wie“, spottete Kaja. „Das hätte ich
mir ja denken können. So, ich geh jetzt rein, Abendessen mit Mémé und Zeit mit
Zorro verbringen.“
„Und das war wohl
ein Wink mit dem Laternenpfahl“, meinte Lance trocken.
„Zaunpfahl“, korrigierte Kaja automatisch. „Genau, ich brauche jetzt
ein wenig meine Ruhe. Eine letzte Frage noch. Wer hat denn nun schlussendlich
den zweiten Wettkampf gewonnen?“
„Na, ich
natürlich“, antwortete der Drache.
„So so, dachte
ich’s mir doch. Natürlich ganz ohne Schummeln.“
Sie ließ den Drachen stehen, der wortlos seine Nägel, besser gesagt,
Krallen betrachtete und demonstrativ ihre letzte Bemerkung überhörte.
Kapitel 10
Am
Sonntagmorgen war Mémé schon in aller Herrgottsfrüh zum Bäcker gefahren und
hatte Pains au Chocolat gekauft, um ihrer Enkelin eine Freude zu machen.
Nachdem Kaja fertig gepackt hatte, genossen sie eine letzte gemeinsame Tasse
Tee in der Küche.
„Ich rufe dich
an, sobald ich in Zürich angekommen bin.“
„Da freu ich mich. Und melde dich auch nächste Woche, falls sich bei
der Arbeit etwas Neues ergibt“, antwortete Mémé besorgt.
„Ist gut, ich glaube allerdings nicht, dass sich an der Situation so
schnell etwas ändert“, sagte Kaja bedrückt.
„Oh ich bin
sicher, dir wird eine Lösung einfallen“, ermunterte sie Mémé.
„Ja, kampflos werde ich mich nicht geschlagen gegeben, das ist mir in
diesen Tagen klar geworden“, sagte Kaja entschlossen. „So, jetzt müssen wir
aber.“
Sie stand auf, stellte ihre Teetasse in die Spüle und atmete noch
einmal tief den vertrauten Duft von Mémés Kräuterküche ein, wie um ein bisschen
davon mit auf ihre Heimreise zu nehmen. Mémé begleitete sie zum Auto und
schaute ihrer Enkelin beim Verstauen ihrer Tasche zu. Die Provianttüte und das
Handy legte sie auf den Beifahrersitz. Griffbereit sozusagen. Sie ließ Zorro
auf die Rückbank springen und schaute sich suchend nach Lance um.
„Wo ist denn jetzt
dieses Vieh bloss“, beschwerte Kaja sich. „Ich dachte, er wollte mitfahren.“
„Mach dir mal keine Sorgen um Lance“, beruhigte die Großmutter sie.
„Der taucht schon wieder auf.“
„Wie denn?“, fragte sie skeptisch. „Ich fahr jetzt nämlich, ich will
nicht länger warten.“ Sie umarmte Mémé und verabschiedete sich.
„Adieu, und pass gut auf dich auf. Falls sich deine Eltern wider
Erwarten mal melden sollten, bestell ihnen einen Gruss von mir.“
„Ja mach ich, dann haben wir wenigstens ein gemeinsames
Gesprächsthema“, meinte Kaja ironisch und verzog das Gesicht. „Ciao, machst
gut.“ Sie startete den Motor und fuhr ab.
Tief in Gedanken versunken fuhr Kaja auf der Route du Soleil Richtung
Norden. Zorro döste ausgestreckt auf dem Rücksitz. Ein lautes „Hallo“ ließ sie
aufschrecken und sie verriss das Lenkrad. Im letzten Moment konnte sie das Auto
wieder auf die richtige Spur bringen.
„Sag mal, spinnst du? Ich fahr hier mit 140 Sachen über die Autobahn
und du schneist einfach so in mein Auto? Ohne Vorwarnung, nichts?!“
Zu allem Überfluss fing jetzt auch noch Zorro zu bellen an. Er hatte
genau gespürt, wie sich sein Frauchen erschrocken hatte und nahm deutlich wahr,
wie ihr das Adrenalin durch den Körper rauschte. Und das alles wegen diesem
Drachen! Der Hund bellte und legte sich noch etwas mehr ins Zeug, vielleicht
verschwand das Ungeheuer dann endlich.
„Zorro, bitte“, rief Kaja nun vollends entnervt und stoppte seine
Belleuphorie. Ist ja gut, dann eben nicht, dachte der Hund und rollte sich
beleidigt
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