Die Drachenschwestern
wieder in Zürich. Sie vermisste Mémé schon jetzt.
Und, wie sie verwundert und ein wenig ärgerlich feststellte, auch Tim schlich
sich immer wieder in ihre Gedanken. Sie war zwar froh, dass er sie von ihrem
Desaster mit Frédéric abgelenkt und unbewusst ihr doch ziemlich angeschlagenes
Selbstbewusstsein aufgebessert hatte, aber das musste jetzt dann auch genügen.
Sie hatte weiß der Himmel im Moment genug andere Sorgen. Da brauchte sie nicht
schon wieder einen Mann, der sie ablenkte.
Zurück beim Auto hievte sie sich die schwere Tasche über die Schulter
und suchte nach dem Wohnungsschlüssel. Sie war gleich nach Abschluss ihres
Studiums, als sie eine feste Anstellung gefunden hatte, hierher nach
Wollishofen an den Stadtrand von Zürich gezogen. Nach fast zwölf Jahren
Internatsleben und fünf Jahren Studentendasein in einer Viererwohngemeinschaft
hatte sie das dringende Bedürfnis nach den eigenen vier Wänden verspürt. Die
Wohnung lag im Erdgeschoss. Da sie den Hund hatte, fürchtete sie sich nicht vor
Einbrechern und konnte so einen kleinen Gartensitzplatz ihr Eigen nennen.
Zwischen die Ritzen der Steinplatten hatte sie Rosmarin und Thymian gepflanzt.
Wenn die Sonne die Steine aufwärmte, erfüllte der Duft der Kräuter die Luft und
brachte ein Stück Südfrankreich in ihren Alltag.
Kaja hatte endlich ihre Schlüssel gefunden. Sie trat ein, ließ die
Tasche gleich beim Eingang stehen und warf die Schlüssel achtlos auf die
Kommode. Nachdem sie sich einen raschen Überblick über ihre Post verschafft
hatte, streifte sie sich die Schuhe von den Füssen und ließ sich auf ihr Sofa
fallen. Die Wohnung hatte drei Zimmer und eine offene Küche. Das war
ungewöhnlich für ein so altes Haus. Doch da eine Wand heraus gebrochen worden
war, ging die Küche nun direkt ins Wohnzimmer über. Die Möbel stammten zum Großteil
von Ikea, bis auf ein paar alte Stücke, die ihr Mémé geschenkt hatte. Den alten
Bauernschrank hatte sie eigenhändig restauriert. Sie erinnerte sich an das
mühselige Ablaugen und Schleifen des Holzes und wie stolz sie gewesen war, als
er nach dem Beizen in neuem Glanz erstrahlt war. Sie legte den Kopf in den
Nacken und betrachtete die Stuckatur an der Decke. Da das Haus während der
Jugendstilzeit erbaut worden war, waren die Räume hoch und die Fenster riesig.
Sie begannen in Kniehöhe und reichten bis fast an die Decke. Von der Küche
führte eine kleine Treppe mit fünf Stufen zum Gartensitzplatz. Die Pergola, die
sie im ersten Jahr hier angelegt hatte, war dieses Jahr nun endlich komplett
überwachsen, so dass sie schon einige Male bei leichtem Regen hatte draußen sitzen
können. Das war Kaja extrem wichtig. Nachdem sie sich schon für einen Job
entschieden hatte, bei dem sie die meiste Zeit des Tages drinnen verbringen
musste, brauchte sie wenigstens in ihrer knapp bemessenen Freizeit die
Möglichkeit, an der frischen Luft zu sein, umgeben von Pflanzen. Lance hatte
eben seinen Erkundungsgang durch ihre Wohnung beendet und leistete ihr auf dem
Sofa Gesellschaft.
Als hätte er ihre Gedanken gelesen, fragte er sie ernsthaft: „Wo
verbringst du deine Zeit am liebsten?“
„Draussen“,
antwortete sie ohne nachzudenken.
„Und weshalb verbringst du dann die meiste Zeit in geschlossenen
Räumen?“ Sie wandte den Kopf um ihn anzusehen.
„Man kann sich
halt nicht alles aussuchen, irgendwie muss ich ja Geld verdienen.“
„Hm, das mit dem Geldverdienen scheint ja gut geklappt zu haben – nur,
bist du glücklich dabei?“
„Wohin soll dieses Gespräch führen? Hast du jetzt etwa die Rolle
meines Therapeuten übernommen?“, wollte sie verärgert wissen.
„Nur so“, wich er
aus, „ich schau mich mal draußen um.“ Und schon war er weg.
„Ich bin zufrieden
mit meinem Leben, nur dass du’s weißt!“, rief sie ihm hinterher.
„Ja, so sieht’s aus“, brummte der Drache vor sich hin, „deshalb nervt dich
auch so eine harmlose Frage. Da hab ich wohl ins Schwarze getroffen“, bemerkte
er zufrieden und ließ sich in den Liegestuhl, der unter dem Rebendach stand,
fallen.
Kaja rappelte sich aus dem Sofa hoch und stand auf, um sich eine Tasse
Tee zu kochen. Zum Charme der Wohnung trug sicher auch die alte Küche mit dem
Gasherd bei. Das war der Nachteil an diesen alten Häusern: genau wie das Bad
war auch die Küche uralt. Doch Kaja liebte gerade diese Besonderheiten. Während
der Tee zog, blickte sie sich um. Im Moment herrschte ein ziemliches Chaos. In
den letzten paar Wochen war
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