Die Drachenschwestern
Zähne zuletzt so laut geklappert haben.“
Jetzt konnte Kaja sich definitiv nicht mehr beherrschen
und lachte so laut, dass einige der Besucher sich missbilligend nach ihr
umdrehten. „Verzeih mir, aber die Vorstellung, wie du da ins Wasser geplumpst
bist, ist einfach unglaublich lustig.“
Jetzt musste Tim doch auch grinsen. „So im Nachhinein
betrachtet, stimme ich dir zu. In dem Moment allerdings habe ich vom Bären bis
zu meiner Arbeit alles verflucht, einschließlich mich selbst.
„Und Papa Joe?
Ist er geflüchtet?“
„Nein, eben nicht. Das war ja das allerbeste. Der hat
sich umgedreht und hingehockt und zugeschaut, wie sich dieses armselige
Menschlein zurück in seinen schwimmenden Untersatz hievt“, schnaubte Tim, was
bei Kaja einen erneuten Heiterkeitsausbruch auslöste. „Los komm, genug gelacht
für den Moment. Es gibt noch mehr zu sehen.“
Eine Stunde später stand Kaja wie gebannt vor dem
letzten Bild. Es zeigte eine Szene im Abendlicht, eine Mutter mit ihren zwei
spielenden Jungtieren im Vordergrund.
„Was ist mit dir“, fragte Tim als Kaja nur stumm das
Bild betrachtete. Kaja schreckte aus ihrer Versunkenheit auf und drehte sich zu
ihm um.
„Ich bin ganz einfach hingerissen von deinen Bildern.
Sie berühren meine Seele…“, sie brach ab und versuchte, die richtigen Worte für
ihre Empfindungen zu finden. „Man kann die Geduld und die Zeit erkennen, all
die harte Arbeit, die nötig war, um zu diesen Aufnahmen zu kommen. Und doch
sind sie von einer Leichtigkeit, dass klar erkennbar ist, mit wie viel Hingabe
und Liebe zum Leben sie gemacht wurden.“ Sie verstummte.
Fassungslos starrte Tim sie an. Das hatte er nicht
erwartet. Dass ihr die Bilder gefallen würden, das schon. Aber dass sie
tatsächlich erkennen würde, was seine Arbeit für ihn bedeutete und was ihn
überhaupt dazu bewegte – nein, das hatte er nicht erwartet. Verdammt, sie hatte
es sogar besser vermocht in Worte zu fassen, als er selbst das gekonnt hätte.
Während er noch darüber nachgrübelte drehte sich Kaja spontan um und fiel ihm
um den Hals.
„Ich glaube, ich verstehe jetzt, weshalb du freiwillig
frierend im Regen ausharrst, ins eiskalte Wasser fällst, brütender Hitze
standhältst, gegen Moskitos kämpfst, dich von Beutelsuppe und Dosenfutter ernährst
und an die unmöglichsten Orte reist.“ Ihre Stimme brach und sie wurde sich
bewusst, was sie da eigentlich machte.
Tim merkte sofort, dass sie sich verspannte und gab sie
widerstrebend frei. Was hatte diese Frau nur an sich, dass sie sich so gut
anfühlte. Er brauchte dringend frische Luft. Schon wieder. Heute schien er
ständig das Bedürfnis zu haben, draußen rumzurennen.
Kaja war einen Schritt zurückgetreten und gab vor, das
Bild noch einmal genau zu studieren. Himmel, der Mann war vielleicht gefährlich!
Wenn sie nicht aufpasste, würde sie sich noch daran gewöhnen, in seinen Armen
zu liegen. Nun mal langsam, ermahnte sie sich selber. Ich sollte erst einmal
mein Leben in den Griff kriegen, bevor ich mir erlaube, solche Dinge überhaupt
zu denken. Und sowieso, der Mann war ja ständig unterwegs auf Reisen. Das war
das Letzte was sie wollte, hielt sie sich vor Augen und dachte dabei an ihre
Eltern, die, seit sie denken konnte, immer unterwegs waren und wichtigeres zu
tun hatten, als ihre Tochter aufwachsen zu sehen. Der Schmerz, der immer wenn
sie sich dessen bewusst wurde, an die Oberfläche kam, verdrängte erfolgreich
jede romantische Regung.
So fragte sie etwas schroffer als beabsichtigt: „Wollen
wir los? Zorro wartet bestimmt schon ungeduldig.“
Tim bemerkte ihren Stimmungsumschwung, beschloss dann
aber, nicht darauf einzugehen. Sie würde ihn schon aufklären, wenn sie das
wollte. So sagte er nur: „Einverstanden. Nachher können wir ja etwas zum Essen
besorgen.“
„Schon wieder
Hunger“, necke Kaja ihn und kniff ihn spielerisch in die Seite.
Gemeinsam verließen sie das Universitätsgebäude und
machten sich auf den Rückweg zu Kajas Wagen. Tim fiel auf, dass die Schatten
aus Kajas Augen wieder verschwunden waren und war beruhigt. Allerdings kam er
nicht umhin, sich zu fragen, was wohl die Ursache gewesen sein konnte. Er
betrachtete ihr Profil und ertappte sich dabei, wie sie sich in seinen Armen
wohl anfühlen würde. Nein, verbesserte er sich, er wusste ja, wie es sich
anfühlte. Und zwar schon, seit sie ihm heute Morgen vor dem Bahnhof in die Arme
gelaufen war. Und jetzt verfolgte ihn die Erinnerung daran schon den ganzen
Tag.
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