Die Drachenschwestern
Sie hatte das
Gefühl gehabt in einen Strudel von Ereignissen geraten zu sein, auf den sie
absolut keinen Einfluss hatte. Kaja hatte es nicht geschafft, der Gedankenflut,
die durch ihren Kopf raste, Einhalt zu gebieten. Selbst als sie ihre Heimfahrt
unterbrochen hatte, um mit Zorro spazieren zu gehen, war es nicht besser
geworden. Dabei war das sonst ein absolut zuverlässiges Mittel, um sie
abzulenken und zu beruhigen. Sie runzelte deprimiert die Stirn. Gestern war eigentlich
so ein erfolgreicher unterhaltsamer Tag gewesen. Doch sie hatte zu ihrem Unmut
entdeckt, dass sie ganz und gar nicht immun war gegen die unerwartete
Anziehungskraft, die von Tim ausging. Und das versetzte sie regelrecht in
Panik. Besonders seit ihr bewusst geworden war, dass er ständig in der
Weltgeschichte umher reiste. Wie ihre Eltern…
Sie verfolgte diesen Gedanken nicht weiter und schweifte
ab zum restlichen Verlauf des letzten Abends. Endlich zu Hause angekommen hatte
sie es sich mit einer Familienpackung Chips und einer Flasche Pinot Grigio
bequem gemacht und wahllos irgendwelche Sendungen geschaut, nur um sich
abzulenken. Kaja blickte sich in der Küche um und entdeckte die Weinflasche
neben dem Herd. Himmel, hatte sie wirklich alleine so viel Wein getrunken?
fragte sie sich, als sie den kümmerlichen Rest Wein in der Flasche betrachtete.
Kein Wunder, dass sich ihr Kopf anfühlte, als würde eine Herde Büffel darin
rumtrampeln.
Sie stand auf und wollte den übrig gebliebenen Wein,
kaum mehr als ein halbes Glas, eben wegleeren, als hinter ihr ein Geräusch
ertönte.
„Ts, ts“, tönte
es spöttisch.
Langsam drehte sich Kaja um und meinte aufgebracht: „Du!
Was willst du denn hier? Ich dachte, du wolltest erst morgen zurückkommen?“
Demonstrativ
wandte sie sich ab.
„Ich freue mich auch dich zu sehen“, gab Lance in
gleichbleibend spöttischen Tonfall zurück. Als Kaja keine Anstalten machte, ein
Gespräch zu beginnen, seufzte er. „Die Angelegenheit ließ sich schneller klären
als ich dachte.“
„Schön für dich
und jetzt lass mich in Ruhe“, erwiderte Kaja unbeeindruckt.
„Hallo, was ist denn mit dir los? Die Sache geht ja vor
allem dich etwas an, oder liege ich da falsch?“ Jetzt klang seine Stimme mehr
als nur ein bisschen verärgert.
Sie unterbrach ihre intensive Musterung der
Fensterscheiben und warf ihm einen Blick zu. Der Drache platzte fast vor
Selbstbewusstsein. Es war offensichtlich, dass er Neuigkeiten mitgebracht
hatte. Sein Pech, dass sie im Moment absolut nicht in Stimmung war, sich mit
einem Drachen zu unterhalten. Schließlich hatte sie Wichtigeres zu tun, auch
wenn ihr beim besten Willen nicht gleich einfallen wollte, was. Deshalb meinte
sie nur patzig: „Schön dass du wieder da bist. Ich habe nur leider gerade keine
Zeit für dich.“
Lance, der sich soeben den übrig gebliebenen Wein
einverleiben wollte, hielt mitten in der Bewegung inne und setzte die Flasche
wieder ab. „Was hast du denn so wichtiges zu tun? Ich dachte, der Sonntag sei euer
Freizeittag oder wie auch immer ihr Menschen das nennt?“
„Ach, so dies und das“, antwortete sie ausweichend, in
der Hoffnung, er werde nicht nachfragen. Was bei diesem starrsinnigen Drachen
eine ziemlich vergebliche Hoffnung war. „Das klingt nicht besonders dringend“,
entgegnete er prompt.
Da riss ihr endgültig der Geduldsfaden, welcher heute
Morgen sowieso schon ziemlich dünn war. „Was geht dich das an. Wenn ich sage,
ich habe keine Zeit, dann hast du das so zu akzeptieren!“, fauchte sie. Wütend stieß
sie sich von der Küchenzeile ab und schlug sich prompt den Ellbogen an.
„Autsch.“
Lance konnte sich ein schadenfrohes Grinsen nicht
verkneifen. „Das kommt davon, wenn man seinen Drachen nicht mit dem gebührenden
Respekt behandelt“, kommentierte er ihr Jammern.
Als sie darauf nichts entgegnete sondern nur
entschlossen in Richtung ihres Zimmers marschierte, rief er ihr hinterher:
„Gut, wenn du den heutigen Tag lieber damit verbringen willst, dich in
Selbstmitleid zu ertränken, bitte. Lass dich von mir nicht abhalten. Es
bestünde sonst vielleicht noch die Gefahr, dass ich dich aufheitern könnte.“
Kaja
würdigte ihn keines Blickes mehr und verschwand in ihrem Zimmer.
Lance machte es sich am Küchentisch gemütlich und setzte
die Weinflasche an seine Schnauze, um den letzen Schluck lautstark hinunter zu
schlürfen. Wie lange würde es wohl dauern, bis sie sich eingekriegt hatte? Eigentlich
erwartete er, dass sie sich
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