Die Drei Federn - Joshuas Reise (German Edition)
weisen Worte der Wahrheit entsprachen. Es mochte ein weiterer Kampf auf ihn warten: Auf der einen Seite stand das Versprechen, ein gutes Leben zu führen, an Stelle seiner toten Freunde; auf der anderen Seite die Endgültigkeit, mit der ihre Gemeinschaft zerstört war. Die Zukunft würde einer Seite den Sieg bringen.
* * *
Der nächste Tag verging wie hinter einem Schleier. Etwas weiter südlich fanden sie eine Quelle, die klares, kaltes Wasser durch ein Tal fließen ließ, in dem Eis und Schnee fast vollständig geschmolzen waren.
„Ich werde einige Zeit brauchen, um meine Kraft zurückzubekommen“, dachte der Pegasus zu Krieg. „Und wenn ich sie wiederhabe, werde ich nach deinen Freunden suchen. Denn ich weiß, wie sehr es dich belastet, dass sie nicht bei uns sind. Aber ich will dir keine Hoffnungen machen. Am Grund des Höhlentores vergeht die Zeit schneller als hier oben. Du kannst einen Tag an der Oberfläche verbringen, während unten bereits eine Woche vergangen ist. „Die Große Tiefe“, wie es früher genannt wurde, hat ihre eigenen Gesetze, und das, was du hier zu wissen glaubst, kann dort unten unwahr sein.“
„Willst du damit sagen, dass Grau und der Rote jetzt schon fast eine Woche dort unten sind?“ Krieg konnte sich einfach nicht vorstellen, dass sie tot irgendwo auf dem Grund einer uralten Welt lagen und sich ihre Körper bereits auflösten.
„Lass diese Gedanken nicht zu“, unterbrach ihn der Pegasus. „Sie verdunkeln deinen Verstand und machen dich blind.“
Krieg sah die Stute an. Er konnte ihre Leichtigkeit fühlen, die sie über seiner Trauer schweben ließ. Diese Leichtigkeit hatte er in sich selbst noch nicht gefunden.
„Du hast mir deinen Namen noch nicht verraten.“
„Mein Name ist Wind“, antwortete sie. „Ich habe ihn bekommen, als ich fliegen gelernt habe.“
„In den Legenden hieß es immer, Pegasusfohlen könnten direkt nach der Geburt fliegen“, antwortete Krieg.
Eine Pause entstand, in der sie ihn betrachtete.
„Niemand hat es dir erzählt?“
„Mir was erzählt?“, fragte Krieg.
„Niemand hat dir erzählt, wie ein Pegasus seine Flügel bekommt?“
Krieg sah ein Lächeln in ihr, das plötzlich auch ihn zu durchströmen schien.
„Du willst mir erzählen, dass du nicht weißt, wie wir unsere Flügel bekommen?“
„Nein.“
„Das ist so traurig, Krieg. Ich wurde nicht mit Flügeln geboren, musst du wissen. Keiner von uns.“
„Wie meinst du das?“
„Ich meine, wir sind nicht von Geburt an das, was wir werden, selbst wenn es unser Geburtsrecht ist. Weißt du nicht, dass wir Pferde sind?“
„Pferde?“, wiederholte Krieg verblüfft.
„Ja, Pferde. Krieg, wir sind Pferde, die gelernt haben, ihre Grenzen zu überschreiten. Uns wurde die Chance gegeben zu fliegen, all unsere Grenzen hinter uns zu lassen und mit den Adlern hoch über der Erde zu schweben. Es ist die Freiheit, die uns gegeben wurde, Krieg.“
Krieg schwieg einen Moment. Er wurde sich der Landschaft um sich herum und Winds Gegenwart neben sich bewusst.
„Wie lässt man seine Grenzen hinter sich?“, fragte er.
Wind sah ihn eine Zeit lang an. Die Güte in ihren Augen beruhte auf dem Wissen darüber, welche Kraft es brauchte, welches Vertrauen sowohl in das Ziel, als auch in die Mittel, es zu erreichen.
„Du darfst nicht an sie glauben. Du darfst sie nicht mit Zweifeln an dir selbst füttern. Du musst wissen, dass sie kein Teil von dir sind und dass sie es niemals waren. Du musst dich selbst kennen. Und du musst dich nicht nur kennen, sondern auch lieben. Tief in dir musst du dich selbst lieben.“
Wieder schwieg Krieg. Tief in ihm, irgendwo verschüttet, gab es einen Ort, an dem ihre Worte nachhallten. In diesem Moment wusste er, dass sie die Wahrheit sagte. Aber...
„...was ist mit dem anderen Teil, fragst du? Dem Teil, der denkt, dass du klein und schwach und mickrig bist?“, beendete Wind seinen Gedanken.
„Ja.“
„Du hast mich aus ewiger Gefangenschaft befreit. Ich werde dir helfen, deine Grenzen zu überschreiten. Ich werde dir helfen, deine Flügel zu bekommen. Ich werde dich fliegen sehen.“
Den letzten Teil ihres Gedankens flüsterte sie. Kriegs Augen brannten plötzlich und er kniff sie zusammen, um seine Gefühle zu verbergen. Es war, als ob sein ganzes Leben, all seine Anstrengungen, die Vorbereitung auf den Krieg, der Krieg selbst und all die Schrecken, die er mit sich gebracht hatte, die Zeit in Gefangenschaft, die Befreiung durch
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