Die Drei Federn - Joshuas Reise (German Edition)
Gefühl war wohl nur mit Ehrfurcht zu beschreiben. Die prachtvolle Schönheit der Kreatur war mit nichts zu vergleichen, was er je zuvor gesehen hatte. Und doch überkam ihn ein Gefühl von Endgültigkeit, als er ihr Gesicht betrachtete. Es kroch in ihm empor und in seine Brust und ließ ihn nach Luft schnappen. Plötzlich machte Krieg einige Schritte rückwärts, stieg auf die Hinterbeine und wieherte, wie es schien, aus tiefster Verzweiflung heraus. Der Wolf und Joshua wichen vor ihm zurück. Das Pferd begann, hin und her zu traben und stieg immer wieder auf seine Hinterbeine, jedes Mal mit einem Wiehern.
„Was ist los, Krieg?“, dachte Joshua.
Das Pferd antwortete nicht, aber eine Welle der Verzweiflung überflutete Joshua und er musste sich schütteln, um das Gefühl loszuwerden.
„Krieg, was ist los?“, dachte er in einem erneuten Versuch, zu dem Pferd durchzudringen.
Dann begann der Wolf zu winseln und zu heulen, als hätte er große Schmerzen. Es war das schaurigste Geräusch, das Joshua je gehört hatte. Zusammen mit dem Wiehern des Pferdes ließ es die Szene wie aus einer anderen Welt erscheinen. Es schien, als teilten der Wolf, das Pferd und der Steinpegasus etwas, woran Joshua nicht oder nur oberflächlich teilhaben konnte.
„Grau. GRAU!“, schrie er in Gedanken. Keine Antwort. Der Wolf sah ihn an, außerstande zu kommunizieren. Krieg begann unterdessen, wie von Sinnen gegen den Stein zu treten, der die Hinterbeine des Pegasus umgab, doch es nützte nichts.
Schließlich hörte er auf. Graus Heulen verstummte ebenfalls. „Ich kann sie nicht retten“, dachte Krieg. „Sie wollte hier sein. Es war ihre Wahl, als Strafe für ihre Taten bis in alle Ewigkeit in Stein erstarrt zu sein. Aber sobald es geschehen war, wurde ihr klar, dass es ein Fehler gewesen war, dass sie nicht hier drin sein sollte. Und jetzt kann sie sich nicht befreien. Sie konnte es über neunhundert Jahre lang nicht.“
Joshua spürte das Gefühl der Hilflosigkeit, das Krieg erfüllte. All die Kraft, Ausdauer und Macht dieses gewaltigen Kriegspferdes waren dem Stein nicht gewachsen.
„Können wir irgendetwas tun?“
„Nein“, antwortete Krieg.
Als er Joshua ansah, sprachen vor allem seine Augen zu ihm.
„Ich habe in vielen Kriegen gekämpft. Ich habe Verzweiflung bei Freunden und Feinden gesehen. Ich habe Schmerz und Verlust erlebt und nicht zu knapp, doch nichts rührt mein Herz mehr als jemand, der nicht in der Lage ist, um seine Freiheit zu kämpfen.“
Grau und Joshua wechselten einen Blick. Beide teilten den Kummer ihres Freundes. Krieg ging auf den Pegasus zu und legte seinen Kopf auf den Stein. Joshua beobachtete, wie eine einzige Träne aus dem Auge des Kriegspferdes rollte und auf den Kopf des Pegasus tropfte.
Alles war ruhig. Plötzlich schien sich die Luft um das Plateau, auf dem sie standen, zu verdichten. Etwas war in Bewegung, obwohl für das bloße Auge nichts zu sehen war. Etwas wühlte tief in ihnen, als ob etwas, das vor langer Zeit in Gefangenschaft geraten war, endlich freigelassen wurde. Joshua und der Wolf wichen einen Schritt zurück. Spielten ihnen ihre Gefühle einen Streich? War das eine optische Täuschung oder begannen einige der steinernen Federn in den gewaltigen Flügeln des Pegasus, sich sanft im Wind zu bewegen?
Joshua spürte, dass sie gerade Zeugen von etwas wurden, das seit Ewigkeiten nicht mehr geschehen war, wenn überhaupt. Im gleichen Augenblick nahm er den Pegasus wahr. Nicht seine Gestalt – seine Seele. Es war, als wäre sie tief in ihm verschüttet gewesen und hätte nun endlich einen Weg an die Oberfläche gefunden. Er war erfüllt von Leichtigkeit. Seine Seele war wie ein Brunnen mit klarem Wasser, das in der Sonne glitzerte. Das Gefühl von Erleichterung in ihm war so ansteckend, dass Joshua die Augen schloss und zuließ, dass es ihn vollkommen umfing.
Als er seine Augen wieder aufschlug, sah er, wie die Flügel sich bewegten. Die Freude des Pegasus, der langsam seine Freiheit zurückgewann, war grenzenlos. Ein Windstoß, den er mit seinen gewaltigen Flügeln auslöste, drückte Joshua zu Boden und plötzlich vernahm er ein Grollen aus dem Inneren des Berges, als ob dieser den Pegasus endgültig in die Freiheit entlassen wolle. Das Geräusch der zusammengepressten Luft unter seinen Flügeln war wie ein Donnerschlag. Und dann krachte es.
Es durchfuhr sie wie ein Blitzschlag. Joshua war nicht gleich klar, was passiert war. Alles schien sich in Zeitlupe abzuspielen. Er
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