Die Drei Federn - Joshuas Reise (German Edition)
laut war. Er konnte nichts sehen, und ein Teil von ihm wartete auf den unausweichlichen Aufprall, mit dem er auf dem Boden aufschlagen würde. Dann brach er durch die Wolkendecke und für den Bruchteil einer Sekunde sah er das Höhlentor weit unter sich und die Schönheit dieses Anblicks raubte ihm den Atem. Dann wurde alles dunkel.
Kapitel 9 – Adler
Plötzlich gab der Boden unter ihnen nach. Zuerst sah es für Joshua so aus, als ob sich Krieg, der Pegasus und die Klippe hinter ihnen von ihm entfernten. Aber dann stellte er fest, dass er selbst und Grau es waren, die sich bewegten. In diesem Moment wurde ihm klar, was das Krachen gewesen war. Ein großer Teil des Plateaus, auf dem sie standen, brach ein, riss ihn und den Wolf mit sich und verschwand in die Tiefe. Und dann fiel er.
Seine unmittelbare Sorge galt dem Wolf. „Grau!“, dachte er panisch, als er sah, wie der Wolf verzweifelt versuchte, sich an irgendetwas festzukrallen, dann von dem bröckelnden Felsen herunterglitt und fiel. Joshua wusste, dass er nichts für den Wolf tun konnte. Er würde ihn niemals erreichen, obwohl er seine Flügel an seinen Körper presste, so fest er konnte, um ihm irgendwie näher zu kommen. Sein Gewicht zog den Wolf viel schneller nach unten als Joshua. Er sah ihn weit unter sich und dachte, sein Herz würde zerbrechen. Dann tauchte der Wolf in den Nebel ein und war verschwunden. Aus dem Augenwinkel sah Joshua, wie der Pegasus sich befreite und der Pfad zu bröckeln begann. Plötzlich flogen riesige Felsbrocken auf ihn zu und es blieb ihm nichts anderes übrig, als seine Flügel zu öffnen und zu fliegen, um den fallenden Steinen zu entkommen.
Als er seine Flügel ausbreitete und sich von der Klippe entfernte, sah er den Pegasus und Krieg den Weg entlangrasen, der unter ihnen wegbrach. Sie schafften es gerade noch zu dem zweiten Pfad, der aufwärts führte. Für den Bruchteil einer Sekunde überlegte Joshua, ob er nach oben fliegen sollte, zurück zu Krieg, doch ihm war klar, dass er das niemals schaffen würde. Dann umfing ihn der Nebel und er konnte nichts mehr sehen. Er hörte den Wind unter seinen Flügeln, doch als er sie ein wenig anders ausrichtete, segelte er beinahe in völliger Stille. In der Ferne hörte er die Felsen von der Klippe brechen und den grässlichen Klang des einstürzenden Pfads. Dann hörte auch das auf und schließlich gab es überhaupt keine Geräusche mehr. Eine Weile fühlte sich Joshua, als hinge er in der Luft, im Niemandsland, und er spürte nichts als den Wind unter seinen Flügeln.
Dann brach er durch den Nebel, und als er nach unten blickte, sah er das Höhlentor weit unter sich. Es war mit nichts zu vergleichen, was er jemals zuvor gesehen hatte. Von oben konnte er Grünschattierungen erkennen, die mit schwarzen Furchen durchzogen waren. Im Westen lag ein großes Areal, auf dem altertümliche Ruinen zu stehen schienen, geometrische Muster in dunklen Farben inmitten von Grün. Im Südwesten sah er zwei große Seen, tropfenförmig und indigoblau, und eine gewaltige Eisformation, die sich in silbernen Zungen an der steilen Klippe hinaufwand. Gerade als er sich zu wundern begann, wo der Wolf abgeblieben war, wurde plötzlich alles um ihn herum schwarz.
* * *
Und dann war da nichts mehr. Joshua hatte das Gefühl, inmitten völliger Dunkelheit zu hängen. Er war sich nicht einmal mehr sicher, ob er noch flog, so ruhig war die Luft um ihn herum. Er kam sich winzig vor, nicht größer als ein Sandkorn, und gleichzeitig ausgedehnt und die ganze Welt umfassend. Es war, als hätte sich seine Seele in alle Richtungen aufgefächert und reichte bis tief in die Erde und weit ins All hinein. In diesem Moment wusste er mit absoluter Sicherheit, dass er aus mehr bestand als nur aus Federn und Haut und Knochen. Doch bevor er darüber weiter nachdenken konnte und so plötzlich, wie sie gekommen war, verließ die Dunkelheit ihn wieder und Joshua fand sich in der Luft über dem Höhlentor wieder.
Als er sich orientiert hatte, beschloss er, so dicht an die Klippe heranzufliegen wie möglich. Vielleicht hatte er ja doch noch eine Chance, den Wolf irgendwo zu sehen zu bekommen. Der Gedanke, seinen Freund zu finden, versetzte einen Teil von ihm in Entsetzen, und dieser Teil wünschte, es bliebe ihm erspart, ihn sehen zu müssen. Er wollte Grau so in Erinnerung behalten, wie er ihn gekannt hatte, nicht mit zerschmettertem Körper auf dem Grund des Höhlentors. Ein
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