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Die drei Frauen von Westport

Titel: Die drei Frauen von Westport Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cathleen Schine
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Leben, wie Betty es gewohnt war, gab es nicht mehr. Die R estaurants von Westport waren langweilig und überteuert. Selbst wenn sie gerne einen Film gesehen und eine Freundin als Begleitung gefunden hätte, wäre das unmöglich gewesen, denn in Westport gab es kein Kino. Hier gab es nichts und niemanden, und da Betty im Dunkeln nicht mehr fahren wollte, ging sie auch nicht aus. Sie träumte von den New Yorker Bussen mit ihren interessanten Gedichten oder Zitaten von George Eliot, der Werbung für Con Ed oder den Bronx Zoo. Wie zivilisiert und gesellig kam ihr New York vor im Vergleich mit diesem entlegenen Teil des Landes, in dem es nur Autos und Krähen und Straßen gab.
    »Ach, hier ist es ja so schön ruhig«, sagte ihre Freundin Judith, als sie sich einmal zum Lunch trafen und abends insWestport Playhouse gehen wollten. Sie spazierten die Main Street entlang und begutachteten die Schaufenster. »Hier kann man den Himmel sehen! Und alle Geschäfte, die wir an der Madison Avenue auch haben, in dieser einen malerischen kleinen Straße. Und ein Theater! Hier gibt es ja wirklich alles, was es in New York auch gibt.«
    Auf verquere Art stimmte das sogar: Das Stück war genauso miserabel wie die meisten Inszenierungen in New York, die Geschäfte wurden von denselben lauten, gertenschlanken Müttern frequentiert wie in der Stadt, die angebotenen Kleider waren wie an der Madison zu jugendlich für Betty, und der Himmel war gleichermaßen bleigrau.
    »Sehr weltläufige kleine Stadt«, hatte Betty ihrer Freundin so munter wie möglich geantwortet. InWahrheit empfand sieWestport weder als weltläufig noch als klein. Nicht einmal als Stadt, genau genommen. Sondern lediglich als großflächig, unübersichtlich, überfüllt und provinziell.
    »Wenn du schon im Exil leben musst, hättest du es jedenfalls schlechter erwischen können, Betty«, erwiderte Judith, die Betty schon so lange kannte und nicht auf den Kopf gefallen war.
    Betty lächelte sie an. Wie schön war es doch, Freundinnen zu haben, die zwischen den Zeilen lesen konnten. »Da hast du völlig R echt«, sagte sie. Aber als sie vom Parkplatz auf die Post R oad einbogen, konnte sie es nicht lassen, hinzuzufügen: »Schau dir nur diesenVerkehr an!«
    Cousin Lou lud zu einem besonders großen Essen zu Ehren von R osalynsVater, Mr. Shpuntov, ein. Mr. Shpuntov hatte vor vielen Jahren – genauer gesagt, am vierundzwanzigsten Oktober 1929, dem Schwarzen Donnerstag – seinen Namen zu Sherwood geändert. An jenemTag war er achtzehn Jahre alt gewesen, und da er damals fürchtete, dass man den Börsenkrach ebenso den Juden in die Schuhe schieben würde wie alle anderen Katastrophen, blickte Shpuntov in die Zukunft und sah sich als Sherwood.
    Doch obwohl Sherwood, geborener Shpuntov, älter wurde und immer mehr vergaß, konnte er sich noch sehr gut an seinen ursprünglichen Namen erinnern. Seit circa einem Jahr reagierte er nun nicht mehr auf den Namen Sherwood. Er konnte es auch nicht ausstehen, wenn die Leute ihn Izzy nannten – das fand er unverschämt –, und da er mit seinen achtundneunzig Jahren überall der Älteste war, trug er den Sieg davon. Shpuntov war er gewesen, und Shpuntov wurde er aufs Neue.
    Mr. Shpuntov war bei dem Essen zwischen Betty und seinen Schwiegersohn Lou gesetzt worden. SeineTochter, deren Haare wie immer zu einem kunstvollen Gebilde ausWellen und Senken frisiert waren, saß ihm gegenüber.
    »MeinVater und ich finden es ja so wunderbar, dass die Farmer hier inWestport diesen Markt abhalten«, sagte R osalyn zu einer Frau, die ihr schräg gegenüber saß.
    »Der Mann da sollte seine Haare nicht so über den Kopf kämmen«, sagte Mr. Shpuntov laut zu Cousin Lou und wies dabei mit dem Kinn auf R osalyn. »Das fand ich immer schon scheußlich.«
    »Das ist Rosalyn , Mr. Shpuntov«, flüsterte Cousin Lou nervös.
    »Dad hat eine Theorie überWochenmärkte«, fuhr R osalyn nun mit erhobener Stimme fort. »Nicht wahr, Dad?«
    »Der sieht vollkommen lächerlich aus«, sagte Mr. Shpuntov und starrte seineTochter erbost an.
    R osalyn starrte nicht minder erbost zurück.
    »Ich möchte einenToast aussprechen«, sagte sie dann unvermittelt und stand auf. »Auf meinenVater, der nun bei uns lebt. Wir hoffen, ihm seine schwindenden Jahre angenehm und schön gestalten zu können.« Sie verneigte sich zu Mr. Shpuntov. »Auf deine schwindenden Jahre!«
    »Was hat er gesagt?«, erkundigte sich Mr. Shpuntov.
    »Bravo!«, rief Cousin Lou so laut wie möglich.

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