Die drei Frauen von Westport
gepresst, und sie war so verblüfft gewesen über seine Heftigkeit, dass ihr unpassenderweise der Gedanke kam, ob er vielleicht Viagra genommen hatte. Setzte die Wirkung gerade erst ein oder ließ sie nach?War das der wahre Grund für seine Begehrlichkeit? »Erektionen, die über vier Stunden andauern …« DerWerbespot kam ihr in den Sinn – doch dann verschwommen ihre Gedanken in einem wunderbaren Nebel, und sie umschlang Frederick, und sie taumelten wieTeenager ins Schlafzimmer.
Annie lächelte in sich hinein. Fredericks Kleider landeten damals verstreut auf dem Boden, und er blieb die ganze Nacht. Sein Handy allerdings hatte er vorsorglich ausgeschaltet; vermutlich weil er sich vor seinen Kindern verstecken musste.
9
Betty staunte über die neuen Häuser, die in immer geringeren Zeitabständen aus dem Boden zu schießen schienen, eines ausladender und stilistisch vielfältiger als das andere. Jedes neue Haus verfügte über eine Garage mit dreiToren, hinter denen sich drei Autos befanden, was vermutlich das enormeVerkehrsaufkommen in der Stadt erklärte. Missmutig steuerte Betty ihren eigenenWagen zum Supermarkt und tappte dort orientierungslos durch die R eihen.Wenn sie sich verwundert über die Größe des Supermarkts, die Vielzahl der Produkte und die riesigen Packungen von Cerealien jeder Art äußerte, sagte Annie, sie benehme sich wie eine russische Emigrantin.Was insofern zutreffend war, als Betty sich an solchen Orten vollkommen fremd fühlte. In New York drängte sie sich durch überfüllte Feinkostläden oder kaufte einen Blumenstrauß an der Ecke beim kleinen Obst- und Gemüsehändler. Die Tüten wurden geliefert, und wenn sie nicht zuhause war, bewahrte der Portier sie auf und trug sie ihr in die Küche, wenn sie zurückkam. Hier hingegen bugsierte Betty einen gigantischen Einkaufswagen zum Auto, verstaute die Tüten mit Mühe im Kofferraum und holte sie dann mit Mühe wieder heraus, um sie ins Haus zu schleppen. Eigentlich genoss sie diese Einkaufstouren. Der Supermarkt erstreckte sich vor ihr wie ein Ort unbegrenzter Möglichkeiten – unbekannt, unermesslich und verheißungsvoll, so wie die Prärie auf die ersten Siedler gewirkt haben mochte, die genWesten zogen. Doch wenn Betty zuhause ankam, war sie müde und erschöpft und sehnte sich nach ihrem alten Leben.
Mein altes Leben, dachte sie. Und sann dann über die Ironie dieserWorte nach. In ihrem alten Leben war sie jung. In ihrem neuen Leben war sie alt. Nichts passte zusammen, und sie sehnte sich danach, wieder einen Portier zu haben.
Betty achtete sorgfältig darauf, sich diese Gefühle nicht anmerken zu lassen.Wozu hätte das gut sein sollen? Annie brach frühmorgens zum Strand auf, um zu schwimmen. Miranda ging auch bei Gewittern spazieren. Die beiden schienen sich gut in der Provinz eingelebt zu haben, und Betty nahm sich vor, um ihrer Töchter willen vorerst inWestport zu bleiben.
Es fiel ihr nicht leicht. Schließlich war sie keine junge Frau, die im Handumdrehen ein neues Leben anfing. Es war ihr nicht einmal leichtgefallen, inWestport ein neues Leben anzufangen, als sie noch jung gewesen war.Weshalb sollte es jetzt im Alter besser funktionieren? Lou hatte es zwar nur gut gemeint. Aber Joseph, vor allem Joseph, hätte wissen sollen, dass Betty in einem Cottage in einer Stadt mit vielVerkehr, aber ohne Flair fehl am Platz war.
Als sie noch jünger waren, hatten Josie und Betty in New York oft Gäste empfangen, und auch in den letzten Jahren hatten sie immer wieder alte Freunde zum Essen eingeladen, allerdings nun häufiger in R estaurants. In New York gab es immer neue R estaurants, über die geschrieben wurde, für die man einen Monat im Voraus reservieren musste, in denen man dann zu viel aß und zu viel Geld ausgab. Im sozialen Leben der Weissmanns und ihrer Freunde waren R estaurants an die Stelle von Filmen getreten, die alle zu brutal und primitiv fanden, und an die Stelle der Kinder, die alle erwachsen waren. Betty fragte sich, was die Freunde wohl inzwischen machten. Vielleicht hatten sie sich um Joseph geschart; sie hatte jedenfalls nichts von ihnen gehört, mit Ausnahme von den Harveys und den Littmans, sehr engen Freunden, die regelmäßig anriefen und sich mit Betty treffen wollten. Und dann gab es noch ihre Studienfreundinnen Judith und Florence. Diesen Freundschaften, die schon seit Jahrzehnten unverändert intensiv waren und fast nur übers Telefon erhalten wurden, konnte nichts etwas anhaben. Doch das soziale
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